Print Friendly, PDF & Email

Konzernverantwortungsinitiative – klare Sache oder was?

Autorin/Autor:
Von Kontrapunkt* vom 23. Oktober 2018

Was (ausser Interessen) hinter dem Widerstand gegen ein fast selbstverständliches Anliegen steckt. Zur Kritik der Doktrin des totalen Systemvertrauens.

Klare Sache, würde man als unbefangene Person zunächst meinen: Die Beachtung grundlegender Menschenrechte und weiterer Prinzipien «anständigen», sozial- und umweltverträglichen Handelns verdient auch im Wirtschaftsleben unbedingten (oder mit Immanuel Kant: «kategorischen») Vorrang vor kommerziellen Interessen. So ist denn die im Oktober 2016 von einer eindrücklich umfassenden Allianz schweizerischer Nichtregierungsorganisationen lancierte Konzernverantwortungsinitiative «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» im breiten Publikum auf Anhieb mit ungewöhnlich hohen, anhaltenden Zustimmungsraten um die 60 bis 75% angekommen. Der «Volkswille» erscheint somit als recht klar; doch die Politik zögert. Das ist, wie nachfolgend aufgezeigt werden soll, nicht nur handfesten Geschäftsinteressen zuzuschreiben, sondern hängt mit tief verwurzelten Denkmustern in Wirtschaft und Politik zusammen.

Was will die Konzernverantwortungsinitiative (KOVI) und wie reagiert die Politik?

Der Kerngedanke der KOVI ist die rechtliche Verankerung einer Sorgfaltsprüfungspflicht (Due Diligence) für international tätige Unternehmen mit Firmensitz in der Schweiz und für die von ihnen kontrollierten Tochterfirmen hinsichtlich der Einhaltung von international anerkannten Menschenrechten und Umweltstandards. Basis sind die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und der von ihnen empfohlene Nationale Aktionsplan für die Umsetzung in jedem Land. Einen solchen hat der Bundesrat bzw. das von ihm beauftragte SECO zwar im Dezember 2016 vorgelegt, aber er ist insofern schwach, als er – anders als die Aktionspläne etwa in Frankreich, Grossbritannien und den Niederlanden – allein auf die «freiwillig» wahrgenommene Corporate Social Responsibility der Konzerne setzt, als ob die Einhaltung von Menschenrechten dem freien Gutdünken mächtiger Akteure überantwortet werden könnte. Dessen ungeachtet hat der Bundesrat in seiner Botschaft zur KOVI vom 15. September 2017 dem Parlament die Ablehnung der Initiative ohne Gegenvorschlag beantragt. Er hat damit unkritisch dem Widerstand von economiesuisse gegen die Initiative nachgegeben.

Unter dem Eindruck des öffentlichen Rückenwinds, den die KOVI geniesst, raffen sich jedoch – ermutigt von einzelnen befürwortenden Stimmen auch aus Wirtschaftskreisen – immer mehr Parlamentarier dazu auf, von der wenig glaubwürdigen Freiwilligkeitsdoktrin des Bundesrats und der Wirtschaftsverbände ein Stück weit abzurücken. Bereits im November 2017 hatte sich die Rechtskommission des Ständerats für einen indirekten Gegenvorschlag zur KOVI ausgesprochen und zur Begründung klipp und klar festgehalten: «Eine verbindliche Umsetzung der Uno-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte ist […] auch für die Schweiz ein Gebot der Stunde.» Die Rechtskommission des Nationalrats hat, nach anfänglich anderer Haltung, im April 2018 diesen Gegenvorschlag zustimmend aufgegriffen und weiterentwickelt. Er würde nach gegenwärtigem Stand nur – aber immerhin – die Standards jener internationalen Menschenrechts- und Umweltabkommen, welche die Schweiz ratifiziert hat, aufgreifen und sie in die hängige Aktienrechtsrevision einbeziehen. Eingeschränkt würden damit gegenüber der Initiative einerseits der Geltungsbereich (auf Grossunternehmen mit mindestens 500 Vollzeitstellen, 40 Millionen Bilanzsumme und 80 Millionen Umsatz) und andererseits die haftungsrelevante Reichweite der Sorgfaltspflicht (auf «Verletzungen von Leib, Leben oder Eigentum»). Verzichtet würde zudem darauf, die Sorgfaltspflicht über die ausländischen Tochterfirmen von Schweizer Konzernen hinaus auch auf weitere von ihnen kontrollierte Unternehmen (insbesondere Zulieferfirmen) zu erstrecken. So wäre eine rasche gesetzgeberische Umsetzung möglich.

Der Nationalrat ist im Juni 2018 dem Antrag seiner Kommission für Rechtsfragen gefolgt, nachdem das Initiativkomitee für den Fall der unveränderten Verabschiedung des Gegenvorschlags durch beide parlamentarischen Räte den Rückzug der KOVI angeboten hat. Der Ball liegt nun wieder beim Ständerat. Dort zeigen sich inzwischen allerdings erneute Tendenzen zur Abschwächung oder – wer weiss – am Ende sogar zur gänzlichen Ablehnung des Gegenvorschlags, womit das Rückzugsangebot des Initiativkomitees hinfällig würde. Die «Sache» ist somit weit weniger klar, als die sympathisierende breite Öffentlichkeit sie wahrnimmt. Woran liegt das?

Die naheliegende Antwort, dass in der Realpolitik nun mal die handfesten Geschäftsinteressen dominieren, ist gewiss richtig, bleibt aber an der Oberfläche. Interessen werden in der Politik oft nicht straight forward vertreten. Je mehr es sich um parteiliche Sonderinteressen handelt, umso mehr hängt ihre Durchsetzung davon ab, ob es gelingt, sie hinter Gemeinwohlrhetorik zu verbergen, d. h. als das allgemeine Interesse von jedermann auszugeben.

 Was ist unternehmerisch «Sache»? Entscheidende Hintergrundüberzeugungen

Eine politische Position als vorteilhaft für alle zu «verkaufen» ist die spezifische Funktion von Ideologien. Ideologien beruhen in der Regel auf ideengeschichtlich tief verwurzelten, aber von ihren Anhängern kaum reflektierten wirtschafts- und sozial­philosophischen Hintergrundannahmen. Da sich niemand gern als Vertreter von Sonderinteressen präsentiert oder selbst versteht, identifizieren sich Interessenvertreter oft umso dezidierter mit ihrer ideologischen Gemeinwohlrhetorik. Diese wird so zu ihrer mehr oder weniger identitätsprägenden Hintergrundüberzeugung. Wer die «fraglos» vorausgesetzten Hintergrundannahmen nicht durchschaut und nicht zu entkräften vermag, steht ihnen argumentativ nahezu ohnmächtig gegenüber. Deshalb müssen sie ausgeleuchtet werden!

Zu den gedanklichen Voraussetzungen, von denen die Einstellung zur KOVI grundlegend abhängt, gehören bestimmte «feste» Auffassungen über gute Unternehmensführung und eine sie ermöglichende und gewährleistende Wirtschaftspolitik. So pocht etwa economiesuisse auf die angeblichen ordnungspolitischen Grundsätze der «freien Marktwirtschaft» und gibt zu bedenken, dass mit der Einschränkung der bisherigen Konzernfreiheit eine uferlose «Verrechtlichung» der freiwillig wahrzunehmenden Unternehmensverantwortung in Gang gesetzt würde, die «unsere» Wirtschaftsordnung insgesamt bedrohe. In Wirtschaftskreisen wird diese staatsskeptische bis libertäre Hintergrundüberzeugung selten in Frage gestellt, weshalb sie dort ideologisch meistens verfängt.

Dieser tendenziell libertären («neoliberalen») Wirtschaftsdoktrin korrespondiert ein ganz bestimmtes normatives Unternehmensverständnis. Nennen wir das Konzept, das im Ruf nach «Konzernfreiheit» zum Ausdruck kommt, das Denkmodell A. Ihm lässt sich holzschnittartig ein ganz anderes Denkmodell B gegenüberstellen, wie es tendenziell der KOVI zugrunde liegt.

Die beiden Denkmodelle unterscheiden sich im Kern dadurch, dass sie mit einem elementaren Spannungsverhältnis, in dem jedes Unternehmen steht, unterschiedlich umgehen: Einerseits ist jedes Unternehmen ein Subsystem des marktwirtschaftlichen Systems und andererseits ist es eine gesellschaftliche Wertschöpfungs­institution, deren Handeln das Leben vieler Menschen in vielfältigen Formen betrifft:

  • In «systemischer» Perspektive geht es um die Selbstbehauptung (das «Überleben») des Unternehmens im Markt, d.h. um die Frage, wie es seine Wettbewerbsfähigkeit und damit seine Existenz dauerhaft sichern kann. Die dementsprechende Leitfrage lautet: Welche Strategien und Methoden funktionieren als Mittel der Erfolgssicherung?
  • In «lebensweltlicher» Perspektive geht es um die Gesellschaftsdienlichkeit der unternehmerischen Wertschöpfung: Welche Wertewill ein Unternehmen für wen schaffen? Und an welche Grundsätze hält es sich, damit sämtliche Nebenfolgen gegenüber allen Beteiligten und Betroffenen verantwortbar sind? Zur Vielzahl der «Stakeholder» mit legitimen Ansprüchen gehören selbstverständlich auch die Kapitaleigner, aber nur als eine unter mehreren Anspruchsgruppen (neben Kunden, Mitarbeitende, Lieferanten, Fremdkapitalgeber, Standortgemeinden und Allgemeinheit).

Aus dem Doppelcharakter jedes Unternehmens als marktwirtschaftlichem Subsystem und gesellschaftlicher Institution folgt das grundlegende Integrationsproblem guter Unternehmensführung: Wie lassen sich die systemischen Anforderungen und die lebensweltlichen Ansprüche an die Unternehmen zusammendenken? Die Denkmodelle A und B lösen dieses Integrationsproblem ganz unterschiedlich.

Denkmodell A: Was für die Verteidiger der Konzernfreiheit Sache ist

Das Verblüffende am Denkmodell A ist, dass es die soeben aufgeworfene Integrationsfrage gegenstandslos macht, indem es eine einseitige Systemlösung modelliert: nämlich ein perfektes System des wohlgeordneten Egoismus, das alle im System Mitspielenden von der moralischen «Zumutung» der Rücksichtnahme auf andere und damit der Selbstbeschränkung des eigenen Vorteils-, Nutzen- oder Gewinnstrebens restlos entlastet. Das Unternehmen lässt sich dann als monistische Kapitalverwertungsveranstaltung verstehen: Es genügt demnach vollkommen, wenn jeder als (Lebens-)Unternehmer auf seinen eigenen grösstmöglichen Vorteil schaut und die Koordination zwischen den Individuen nach dem Prinzip des wechselseitigen Vorteilstausches erfolgt – kurz: nach dem Marktprinzip. Im «freien» Markt kommen Geschäfte (d.h. Tauschverträge) ja nur zustande, wenn jeweils beide Seiten nicht noch eine bessere Alternative haben. Das Zustandekommen von Geschäften belegt somit, dass – neudeutsch ausgedrückt – eine win-win-Situation herrscht. Freier Handel gilt folglich als fairer Handel. Was ökonomisch effizient ist, erscheint so zugleich immer schon als ethisch legitim. Die wirkungsmächtige Metapher dafür ist die berühmte «unsichtbare Hand» des Marktes. Der impliziten Ethik des Marktes eine explizite Ethik entgegenzustellen hiesse, das gute Funktionieren dieses harmonischen Systems zu stören!

Deshalb gilt in dieser Doktrin des Systemvertrauens: The business of business is business. Geschäftsleute sollten sich einfach nur um ihr Geschäft kümmern und der Staat soll ihnen den Rücken freihalten, dann dienen sie in wunder­barer Weise zugleich dem Gemeinwohl am besten. Gute Unternehmens­führung darf und soll sich am «Gewinn­prinzip» – genauer: am Prinzip der strikten Gewinnmaximierung – orientieren, und alles wird gut. Oder in den berühmten Worten von Nobelpreisträger Milton Friedman (1970): «The social responsibility of business is to increase its profits» – und sonst nichts. Das begründet das privatistische Verständnis des Unternehmens als einer Kapitalverwertungs­­veranstaltung von Eigentümern. Dem wiederum liegt das frühmoderne besitzbürgerliche Gesellschaftskonzept zugrunde. Der Staat soll das Leben und Eigentum eines jeden Bürgers schützen (Landesverteidigung, Polizei, sozialstaatlicher Schutz vor elementarer Lebensnot), die nötige rechtliche Infrastruktur für das Geschäftsleben gewähren (insb. das Vertrags- und Haftungsrecht), wichtige öffentliche Güter bereitstellen, die sich nicht marktwirtschaftlich erzeugen lassen («natürliche» Monopole, insb. Verkehrs-, Energie- und Informationsnetzwerke), und last not least die Märkte offen halten – basta.

Denkmodell B: Was für die Anhänger der Konzerninitiative Sache ist

Das zweite idealtypische Modell nimmt das Unternehmen umfassend als eine pluralistische Wertschöpfungs­veranstaltung wahr, die mitten im Brennpunkt vielfältiger gesell­schaft­licher Wert- und Interessen­konflikte steht. Zu den wichtigsten Herausforderungen einer guten Wirtschaftsordnung gehört es daher, die marktinternen Erfordernisse der unternehmerischen Selbst­behauptung im Wettbewerb mit den marktexternen «Ansprüchen» aus der gesellschaft­lichen Lebenswelt in Einklang zu bringen. Das dahinterstehende Ideal ist eine wohlgeordnete Gesellschaft freier und gleichberechtigter Bürger. Nicht ein auf den «freien Markt» verkürzter Wirtschafts­liberalismus, sondern ein Bürgerliberalismus, der auf die wechselseitige Achtung der gleichen Grundrechte aller BürgerInnen setzt, bildet die grundlegende Sozial­philosophie. In ihrem Lichte gilt es die Marktwirtschaft buchstäblich zu «zivilisieren» und das unternehmerische Gewinnstreben zu «moderieren»: prinzipiengeleitetes Gewinnstreben ja, rücksichtslose Gewinnmaximierung nein! Was bedeutet das konkret?

Erstens kommt es auf durchgängige und deshalb glaubwürdige Geschäftsintegrität an. Gesichtspunkte der Human-, Sozial- und Umweltverträglichkeit sind nicht länger als lästige Einschränkung des erzielbaren unter­nehmerischen Markterfolgs aufzufassen (staatlicher «Zwang»), sondern als die tragende Grundlage eines gesellschaftsdienlichen Geschäftsmodells. Dem dienen klar deklarierte Geschäftsgrundsätze (neudeutsch: «Business Principles»). Sie definieren verbindlich, mit welchen Mitteln und Methoden das Unternehmen seinen Erfolg nicht erzielen will. Wo aber ist das motivierendeMoment integren Geschäftsgebarens zu finden? Nun, im Zentrum echten Unternehmertums steht seit jeher eine lebenspraktisch sinnvolle Wertschöpfungsidee (neudeutsch: ein überzeugendes «Mission Statement»). Wenn die Marktleistung, mit der ein Unternehmen Geld verdient, selbst schon gesellschaftsdienlich konzipiert ist, so erzielt dieses Unternehmen im buchstäblichen Sinn einen verdienten, legitimen Erfolg.

Geboten ist zweitens die Wahrnehmung branchen- und ordnungspolitischer Mitverant­wortung seitens der «Privatwirtschaft» für die Rahmen­bedingungen, unter denen sie ihre unter­neh­merische Freiheit beansprucht. Denn es soll ja für verantwortungsbewusste Unternehmen zumutbar sein, sich unter Wahrung von Prinzipien anständigen und integren Geschäfts­gebarens im marktwirtschaftlichen Wettbewerb zu behaupten. Zumutbar ist solches Handeln, soweit es nicht ausgebeutet werden kann durch Konkurrenten, die «dank» ihrer Prinzipien- und Verantwortungslosigkeit einen – höchst unfairen, da nicht leistungsbasierten – Kostenvorteil im Wettbewerb gewinnen. Es kommt deshalb für einen fairen Wettbewerb darauf an, tragfähige Standards human-, sozial- und umweltverträglichen Wirtschaftens allgemeinverbindlich zu machen, indem sie in die gesetzliche Rahmenordnung des Marktes integriert und damit die Anreize richtig­gestellt werden: Der Schiedsrichter Markt soll nicht mehr (wie bisher allzu häufig) den verantwortungs­vollen Playern die rote Karte zeigen und rücksichts­losen Wettbewerbern fragwürdige Kostenvorteile gewähren, sondern umgekehrt. Die verkehrten Anreize richtigzustellen ist eine ordnungspolitische Aufgabe, die in keiner Weise der freiwilligen Unternehmensverantwortung überlassen werden kann. Aufgeklärte Unternehmensführer, die es mit ihrer «Corporate Social Responsibility» ernst meinen, erkennen darin ihr wohlverstandenes Eigeninteresse! Damit ist die sachliche Pointe des Denkmodells B gefunden.

Praktische Folgerungen bezüglich der Konzernverantwortungsinitiative

Der herausdestillierte Sachzusammenhang verantwortlicher Unternehmensführung lässt sich auf eine Kurzformel bringen: Blosse Verrechtlichung, also Recht statt Moral, genügt tatsächlich nicht – so weit ist den Anhängern des A-Modells durchaus zuzustimmen. Aber unternehmerische Moral kann ohne ein sie ermöglichendes und stützendes Recht nur höchst begrenzt zum Tragen kommen – diesbezüglich argumentieren die Initianten sachgerecht. Es geht dabei nicht darum, der Verantwortungsbereitschaft auf Unternehmensebene zu misstrauen oder ihr den Boden zu entziehen; vielmehr macht eine rechtlich klar definierte Sorgfaltspflicht die unternehmerische Verantwortungsübernahme unter den Bedingungen eines immer härteren Wettbewerbs überhaupt erst zumutbar. Das Konzept der KOVI setzt nicht auf überbordende Verrechtlichung, sondern auf ein ausgewogenes Zusammenspiel von allgemeinverbindlichem Recht und situationsgerecht wahrgenommener Eigenverantwortung der Unternehmen.

Gesetzlich vorgeschrieben wird laut Initiativtext nur die formale Pflicht international agierender Firmen zur «angemessenen» menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltsprüfung (Due Diligence). Sie sollen darüber hinaus eigenständig (!) die notwendigen Massnahmen ergreifen, um Fehlverhalten möglichst über ihre gesamte Wertschöpfungskette (Lieferkette) hinweg zu verhindern oder nötigenfalls wirksam zu korrigieren. Und schliesslich sollen die Unternehmen über all das transparent Bericht erstatten, damit die Zivilgesellschaft ihre Kontrollfunktion als kritische Öffentlichkeit wahrnehmen kann. Das ist im wohlverstandenen Sinn liberal gedacht. Wer es mit dem unauflöslichen Zusammenhang von Freiheit und (Eigen-)Verantwortung ernst meint, wird das erkennen und anerkennen.

Sollten als Fazit nicht gerade die Anhänger einer wohlverstandenen Unternehmensfreiheit vernünftigerweise dieses zivilisatorische Minimum eines verantwortlichen Geschäftsgebarens befürworten, zumindest in der eingeschränkten Fassung des vorliegenden indirekten Gegenvorschlags zur KOVI? Wäre es nicht zukunftsfähiger, wenn die Wirtschaftsverbände – allen voran der Dachverband economiesuisse – sich bei ihren Mitgliedern dafür engagieren würden, statt mit altbackenen ideologischen Mitteln den immer wieder skandalträchtigen Status quo der organisierten Verantwortungslosigkeit zu verteidigen? Gemäss John Ruggie, dem geistigen Vater der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, bietet die menschenrechtliche und umweltverantwortliche Sorgfaltsprüfung, wie die KOVI sie vorschlägt, den durchaus moderaten Weg in eine «neue Normalität für die Unternehmen» (zit. nach Markus Mugglin auf Infosperber). Gesellschaftlich werden die damit verbundenen Erwartungen jedenfalls fortschreitend als normative Selbstverständlichkeit wahrgenommen und eingefordert.

Klare Sache am Ende – vielleicht doch?

Dieser Beitrag ist (mit teilweise anderen Links) am 21. Oktober 2018 auch auf Infosperber erschienen.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
Prof. em. Beat Bürgenmeier, Volkswirtschafter, Universität Genf; Prof. Dr. Marc Chesney, Finanzwissenschaftler, Universität Zürich; Prof. Dr. Jean-Daniel Delley, Politikwissenschafter, Universität Genf; Prof. Dr.; Prof. Dr. Michael Graff, Volkswirtschafter, ETH Zürich; Dr. Peter Hablützel, Hablützel Consulting, Bern; PD Dr. Thomas Kesselring, Universität Bern; Prof. em. Dr. René Levy, Soziologe, Universität Lausanne; Prof. em. Dr. Wolf Linder, Bern; Prof. em. Dr. Philippe Mastronardi, Öffentlichrechtler, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Hans-Balz Peter, Sozialethiker und Sozialökonom, Universität Bern; Dr. h.c. Rudolf H. Strahm, Herrenschwanden; Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Wirtschaftsethiker, Universität Basel; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. em. Dr. Karl Weber, Soziologe, Universität Bern; Prof. em. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel, Liliana Winkelmann, M.A., MAS MDI - Managing Diversity, Zürich.

Comments are closed.