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Welche Forschung an den Fachhochschulen?

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Von Kontrapunkt* vom 2. Oktober 2012

Das geltende Fachhochschulgesetz, vom Bund 1995 in Kraft gesetzt, be-auftragt die Fachhochschulen (FH), anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung zu betreiben. Diesen Grundauftrag hat der Gesetzgeber nuanciert definiert: Fachbereiche, denen kein etabliertes Referenzfach an den Universitäten gegenübersteht, sollten auch in der Grundlagenfor-schung tätig werden. Die Forschung an den FH muss – anders als an den universitären Hochschulen – prinzipiell über Drittmittel finanziert werden und Praxispartner involvieren. Damit hoffte der Gesetzgeber, Wissens-transfer und Praxisbezug institutionell sicherzustellen und auf Hoch-schulstufe eine zweigleisige Struktur mit zwei gleichwertigen, jedoch an-dersartigen Hochschultypen zu etablieren. Was ist aus diesen klaren hochschulpolitischen Absichten geworden?

Die während gut 15 Jahren gemachten Erfahrungen haben nun gezeigt, dass die FH den Leistungsauftrag des Gesetzgebers in der Forschung aus struktu-rellen Gründen nur bedingt erfüllen können. Zwar sind die Situationen der Fachbereiche unterschiedlich. Dennoch kann nicht übersehen werden, dass die Voraussetzungen für die Forschung an FH suboptimal sind. Zunächst ist daran zu erinnern, dass die FH organisatorisch stark auf die Lehre ausgerichtet sind, die Studiengänge sind ihr zentrales Strukturprinzip. Die Dozierenden müssen ein grosses Lehrdeputat wahrnehmen: das wissenschaftliche Personal der FH investiert rund 70 Prozent der verfügbaren Zeit in die Lehre. Seine Mitglieder sind zudem mehrheitlich nur Teilzeit beschäftigt, oftmals mit einem nur geringen Pensum und die FH können nur wenig eigene Mittel (Stellen) für die Forschung einsetzen. Sie verfügen auch nicht über genügend Fachleute, die sich langjäh-rig in Forschung qualifiziert haben. Bisher wurde kein akademisch geschulter wissenschaftlicher Mittelbau aufgebaut. Ausserdem zwingt der Auftrag, wissen-schaftsgestützte, anwendungsorientierte Forschung zu betreiben, die Wissen-schaftler und Wissenschaftlerinnen an FH dazu, mit ihrer Forschung gleicher-massen die Anforderungen von zwei Feldern mit unterschiedlichen Logiken zu berücksichtigen: das Feld der Wissenschaft und jenes der Wirtschaft bzw. der jeweiligen Auftraggebenden. Das steigert die Komplexität der Anforderungen in den Forschungsprojekten massiv: die erarbeiteten Befunde müssen nicht nur „wahr“, sondern auch „brauchbar“ und nützlich sein. Schliesslich wird es den FH durch das Profil der verlangten Drittmittelfinanzierung erschwert, ein eigenes Forschungsprogramm zu realisieren und systematisch Wissen und Erfahrungen zu akkumulieren. Insgesamt fehlen damit den FH – gerade auch im Vergleich zu Universitäten – wesentliche Voraussetzungen, um den vom Gesetzgeber defi-nierten Leistungsauftrag zu erfüllen.

Aufgrund dieser Bedingungen ist es wenig überraschend, dass die Forschung an den FH weniger profiliert ist, als gemäss den hochschulpolitischen Vorgaben hätte erwartet werden können. Es kam nicht zu einer klaren Abgrenzung der Forschungsfelder zwischen Universitäten und FH, wie sich dies der Gesetzge-ber vorgestellt hatte. Beide Hochschultypen sind sowohl auf den Feldern der Wissenschaften wie der Praxis tätig. Aber auch an den FH selber verhalten sich die Fachbereiche unterschiedlich: Soziale Arbeit, angewandte Psychologie und Betriebswirtschaftslehre z.B. sind stärker auch im Grundlagenbereich tätig als die technischen Wissenschaften. Schliesslich haben Projekte, die von Angehö-rigen der FH beim Schweizerischen Nationalfonds eingereicht werden, sehr oft einen schweren Stand, weil sie dort tendenziell nach denselben Kriterien beur-teilt werden wie universitäre Projekte (etwa nach dem Rang der Zeitschriften, in denen publiziert wird). Das heisst, die innerwissenschaftlichen Ansprüche sind hoch, während jene der Praxistauglichkeit vernachlässigt werden, im Wider-spruch zur doppelten Ausrichtung der FHS.

Gleichstellung trotz struktureller Unterschiede

Nimmt man all diese Gegebenheiten zusammenfassend in den Blick, wird klar, dass es sich dabei nicht nur um „petitessen“ handelt, die sich gewissermassen als – unbeabsichtigte – Reformnebenfolgen, als übliche Unzulänglichkeiten in Details, eingestellt haben und mit „Feintuning“ gelöst werden können, sondern um eigentliche Konstruktionsfehler. Umso erstaunlicher ist es, dass das neue Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz (HFKG), welches in nächster Zeit in Kraft treten wird, den fundamentalen strukturellen Unterschieden zwi-schen den beiden Hochschultypen nicht Rechnung trägt.

Im neuen Gesetz werden die FH den Universitäten gleichgestellt sein. Der Bund verspricht, Lehre und Forschung dieser beiden Hochschultypen nach den gleichen Kriterien zu fördern. Für die Forschung gilt dabei das erfolgreiche Ein-werben von Mitteln beim SNF neben andern Kriterien als wichtiger Leistungs-ausweis. Gleichzeitig kann gemäss Gesetz der Bund von diesen Förderungs-kriterien abweichen, wenn dies die Besonderheiten der Hochschulen oder der Fächer erfordern. Dennoch ist programmiert, dass sich der Wettbewerb um knappe Mittel verstärken wird, wenn auch mit ungleich langen Spiessen.

Segregation als bevorzugte Option?

Einiges spricht dafür, dass diese Suppe nicht so heiss gegessen werden muss, wie sie serviert wird, und dass die Hochschulpolitik dafür sorgen wird, dass der Wettbewerb um die knappen Forschungsmittel nicht ruinös wird. Ein bisschen Wettbewerb wird die Hochschulpolitik zulassen, sicher aber nicht zu viel. Ver-mutlich werden daher die Fördergefässe für die Forschung weiter ausdifferen-ziert und der Zugang zu ihnen von bestimmten Voraussetzungen abhängig gemacht werden. Damit lässt sich die Konkurrenz um die knappen Mittel verrin-gern, die Benachteiligten können „geschützt“ werden, weil sie aus getrennten Töpfen gespeist werden. Eine solche Entwicklung, für die Schweiz an sich nicht neu, wäre für die Wissenschaft insgesamt ungünstig. Zum einen bestünde das Risiko, dass die Standards guter Forschung erodieren. Zum andern wäre mit einer weiteren Verstärkung der Tendenzen zur Segmentierung des Forschungs-feldes zu rechnen. Beide Entwicklungen würden den wissenschaftlichen Wett-bewerb erschweren und vermutlich auch die internationale Konkurrenzfähigkeit schwächen. Mit solchen Risiken würden besonders die kleinen Fachbereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften stärker konfrontiert als jene, die über eine grosse kritische Masse verfügen und sich an „konsensuellen Paradigmen“ orientieren.

Alternativlösung

Um den wissenschaftlichen Wettbewerb im Lande zu stärken, die Segmentie-rung und damit Abschottung einzelner Forschungsfelder zu begrenzen und gleichzeitig die Qualität der anwendungsorientierten Forschung weiter zu entwi-ckeln, sollten die einschlägigen Fachbereiche der Universitäten und FH ge-meinsam praxisrelevante Forschung in neuen, intermediären Instituten betrei-ben: In diesen Instituten würden Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der beiden Hochschultypen mit einer längeren Zeitperspektive zusammenarbeiten. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der FH und der Universitäten könn-ten sich hier weiter qualifizieren (Doktorat, Habilitation). Dies würde die FH zu-gleich in die Lage versetzen, ihren wissenschaftlichen Nachwuchs sicherzustel-len. Die Unterschiede zwischen den Kulturen von Universitäten und FH könnten ihr kreatives Potential entwickeln, Kommunikation und Austausch zwischen bei-den Kulturen würden gefördert. Namentlich wäre es hier in den Projekten leich-ter möglich, grundlagenorientiertes Wissen konkret auf seine Praxis-tauglichkeit zu testen und der praxisbezogenen Forschung die notwendige solide wissen-schaftliche Fundierung zu geben. Damit würden Grundlagenforschung und an-gewandte Forschung miteinander interagieren. Die wenig praxistaugliche Illusi-on einer fusionierten „anwendungsorientierten Grundlagenforschung“ (Newspeak des Nationalfonds) müsste nicht gepflegt werden.

Nachbemerkung: Die Voraussetzungen der Forschung sind nur eines der kon-stitutiven Probleme der heutigen Fachhochschulen, weitere wichtige sind bei-spielsweise die schleichende Privatisierung der Forschung, die strukturelle Trennung von Lehre und Forschung und die fehlende Mittelbaupolitik. Die Lö-sung dieser Probleme an den FH wird auch die Universitäten herausfordern und zu gewissen Anpassungen zwingen. So ist mit der Zusammenfassung der bei-den Hochschultypen in einem Gesetz weiterhin die Erwartung verbunden, dass sich damit eine kohärente und profilierte Hochschulentwicklung besser verwirk-lichen lässt. Diese Erwartung muss angesichts der nicht ausgeräumten struktu-rellen Stolpersteine als Illusion betrachtet werden.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
kontrapunkt, der zurzeit 22-köpfige „Schweizer Rat für Wirtschafts- und Sozialpolitik“, entstand auf Initiative des „Netzwerks für sozial verantwortliche Wirtschaft“. Die Gruppe will die oft unbefriedigende und polarisierende öffentliche Diskussion über politische Themen durch wissenschaftlich fundierte, interdisziplinär erarbeitete Beiträge vertiefen. kontrapunkt möchte damit übersehene Aspekte offen legen und einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten. Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet: Prof. Beat Bürgenmeier, Volkswirtschafter, Universität Genf; Dr. iur. Gret Haller, Universität Frankfurt am Main; Prof. Dr. Philippe Mastronardi, Staatsrechtler, Universität St. Gallen; Dr. oec. HSG Gudrun Sander, Betriebswirtschafterin, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Beat Sitter-Liver, Praktische Philosophie, bis 2006 Universität Freiburg (Schweiz); Prof. em. Dr. Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel

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