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Wie können wir die Finanzmarktkrise politisch bewältigen?

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Kommentar zum GPK-Bericht vom 30. Mai 2010 zuhanden einer Veranstaltung von SP-Fraktion und SPS vom 8. Juni 2010, 13.15 Uhr, Bundeshaus Bern, Zimmer  286

Am letzten Donnerstag, 3. Juni 2010, stand in der Neuen Zürcher Zeitung zu lesen: „Der Bestseller der Stunde ist der dicke parlamentarische Untersuchungsbericht zur Finanzkrise, der Lüge, Filz und Wahn offenlegt.“ Es handelt sich leider nicht um eine Reportage aus Bern, sondern aus Reykjavik. Der Bericht unserer GPK hat nicht das Zeug, zum Bestseller zu werden. Nach Lektüre der 370 Seiten bedaure ich das, habe dafür aber auch Verständnis. Nur wer schon recht viel weiss, kann vor lauter Details die Sprengkraft gewisser Aussagen erkennen.

Als Bürger, Bewohner und Steuerzahler eines demokratischen Landes erwarte ich vom Parlament, dass es seine politische Verantwortung bei der Krisenbewältigung wahrnimmt. Was heisst das? Und welchen Beitrag leistet der GPK-Bericht zu einer politischen Bewältigung der Finanzmarktkrise? Drei Aspekte scheinen mir dabei besonders wichtig zu sein:

1. Damit das Land wieder Orientierung findet, sind eine kritische Aufarbeitung und eine kluge Interpretation der Krise nötig. Akribisch zu beschreiben, wie sich die Behörden während der Krise verhielten, kann nützlich sein; es reicht aber nicht, um die Bedeutung der Krise für unsere Gesellschaft zu erkennen. Ich erwarte von der Politik, dass sie mir zu verstehen hilft, (1.) inwiefern die Turbulenzen Ausdruck einer Ereigniskrise sind und mit Sanktionen oder Führungsentscheiden beantwortet werden können. Die Politik soll aber auch aufzeigen, (2.) welche Probleme eher Auswirkungen einer Strukturkrise sind und Änderungen von Abläufen, Regeln und Gesetzen verlangen, damit sie sich in Zukunft nicht wiederholen. Ich hoffe zusätzlich, dass die Politik mir zu erkennen hilft, (3.) wo wir es mit einer Systemkrise zu tun haben, die „systemisch“ angegangen werden muss: also im Bewusstsein, dass Parlament oder Politik zwar nur Teil eines Ganzen sind, aber durch kommunikative Offenheit und geschickte Gestaltung ihrer Rollen die anderen Player beeinflussen können und damit eine Chance haben, das System in die gewünschte Richtung zu bewegen.

Die meisten Krisen sind eine Mischung aus diesen drei Krisenarten. Je komplexer die Verhältnisse sind, umso wichtiger wird der systemische Ansatz. Ein kritischer Blick auf Interaktionen und Abhängigkeiten macht plötzlich Zusammenhänge sichtbar, die wir bei der isolierten Beobachtung eines Objekts nach traditioneller Methode nicht erkennen können. Je nach Definition des Systems schieben sich unterschiedliche Zusammenhänge in den Vordergrund; wir erkennen auch, dass es keine absolute Objektivität geben kann, weil wir als Beobachter immer Teil des Systems sind. Eine Reflexion der eigenen Rolle ist deshalb besonders wichtig.

2. Eine Kriseninterpretation, die politisch urteils- und handlungsfähig machen soll,  braucht eine differenzierte Ursachenanalyse. Eine Krise kann selten aus sich selber heraus erklärt werden; sie ist meist ein Bifurkationspunkt von komplexen lang- und kurzfristigen Entwicklungen, also von spezifischen Veränderungen in der Zeit. Wer die Finanzkrise 2007/8 verstehen will, muss die Entwicklung der Finanzwirtschaft und vor allem die Globalisierung oder Amerikanisierung der Finanzindustrie seit den 90er Jahre zu verstehen versuchen. Aus dem Platzen der Blase lässt sich für die Zukunft weniger lernen als aus ihrer Aufblähung; warum die gefährliche Situation entstanden und entscheidenden Orts nicht erkannt und bekämpft worden ist, scheint mir politisch mindestens so wichtig zu sein wie das Verhalten der Behörden in der Krise.

3. Als Bürger und Steuerzahler kann ich wieder Vertrauen in die Politik fassen, wenn sie mich von ihrer Lernfähigkeit und ihrem Lernwillen überzeugt. Ich erwarte vom Parlament, dass es (1.) Fehlverhalten sanktioniert, (2.) Regeln auf ihre Ziel-Mittel-Relationen überprüft und wenn nötig ändert und (3.) ernsthaft darüber diskutiert, ob wir bisher überhaupt die richtigen Fragen stellten. Lerntheoretisch geht es also um drei verschiedene Prozesse, die den drei Krisenverständnissen zugeordnet werden können: (1.) um single loop learning bei Ereignis-, (2.) um double loop learning bei Struktur- und (3.) um deutero learning bei Systemkrisen.

Gerade in einer Krisendebatte darf nicht der Eindruck entstehen, die Parteipolitik sei wichtiger als das Wohl des Landes. Wenn das bessere Argument auch wirklich eine echte Chance hat, zur Einsicht aller beizutragen, kann die Krise als eine politische Chance genutzt werden.

Um den GPK-Bericht unter diesen Gesichtspunkten zu beurteilen, will ich zuerst das Positive hervorheben: Da ist in kurzer Zeit unheimlich viel Material gesammelt und seriös verarbeitet worden. Wer die 370 Seiten liest, erhält ein Bild der Abläufe und des Behördenverhaltens, das mir aus 20 Jahren Erfahrung an der Schnittstelle von Politik und Verwaltung als durchaus realitätsnah erscheint. Der Bundesrat wird nicht geschont. Dass die Departementalisierung zu einem immer grösseren Problem der Exekutive wird, kann ich nach 16 Jahren als Direktor eines Querschnittsamtes nur bestätigen; ich würde allerdings nicht nur mangelndes kollegiales Vertrauen, sondern auch die Personalisierung der Politik durch die Medien und die Aufblähung der Stäbe als Ursache dieser Gefahr für die Konkordanz betrachten. Die Krise wird auch nicht kleingeredet; man spürt, dass die GPK den Ernst der Lage erkennen. Das ist mir zum Beispiel beim Too-big-to-fail-Problem aufgefallen, wo entsprechend der spezifischen Gefährdung unserer grossen und hochkonzentrierten Finanzwirtschaft auch scharfe Regeln verlangt werden.

Die EBK/FINMA kommt im Bericht der GPK zu gut weg. So wird etwa auf S. 45 die Bildung einer Abteilung Grossbanken nach der Bankenfusion 1998 als Beleg für das Risikobewusstsein der EBK ins Feld geführt: „Somit trug die EBK den mit der Grösse und der Komplexität der beiden schweizerischen Grossbanken UBS und Credit Suisse verbundenen Risiken Rechnung und unterstellte diese einer engeren Aufsicht, was zeigt, dass sie sich der Problematik bewusst war.“ Es wird allerdings verschwiegen, dass den beiden Grossbanken als Folge dieser Spezialbehandlung ein wesentlich höherer Verschuldungsgrad zugestanden wurde als allen anderen Banken. Die schweizerische Bankenaufsicht hat ihren Interpretationsspielraum auf gefährliche Art zugunsten kurzfristiger Interessen der Finanzindustrie ausgenutzt. In grosszügigster Auslegung der Basler Empfehlungen und trotz massiver Vorhaltungen seitens der Nationalbank hat die EBK 2004 neue Risikomodelle und Berechnungen der UBS abgesegnet, so dass sich die Grossbank für ihre riskanten Geschäfte auf dem amerikanischen Markt noch stärker verschulden konnte und mit der weltweit (!) tiefsten Eigenmittelquote von weniger als zwei Prozent in die Finanzmarktkrise schlitterte. Die politische Unterstützung im internationalen Standortwettbewerb hat sich in der Krise als Bumerang erwiesen. Aber davon lesen wir im GPK-Bericht nichts. Interessant wäre auch ein Kommentar der GPK zum Institutionenverständnis des FINMA-Präsidenten, der nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar 2010 zur Herausgabe von UBS-Kundendaten an die USA öffentlich verlauten liess, er würde in einer solchen Situation – trotz des Gerichtsurteils – wieder genau gleich handeln. Jeder Normalbürger wäre wohl bei einem Behördenentscheid in den Ausstand getreten, bei dem es angeblich um Sein oder Nichtsein einer Firma ging, für die er vorher 32 Jahre lang im Solde stand.

Bei genauer Lektüre des Berichts stellt der Verdacht sich ein, dass die US-Behörden es nicht darauf abgesehen hatten, die UBS zur Strecke zu bringen, sondern dass sie deren Management für die kriminellen Machenschaften im Offshore Geschäft zur Verantwortung ziehen wollten. UBS und FINMA ist es aber gelungen, unterstützt von SNB-Präsident Roth, den Bundesrat davon zu überzeugen, dass es um die Existenz der Grossbank und damit auch um zentrale Interessen unserer Volkswirtschaft und unseres Landes gehen würde. Dieser Verdacht wird nicht explizit ausgesprochen; das hätte eine zu grosse Sprengkraft auf die Ratifizierung des Staatsvertrags. Aber er scheint auch deshalb nicht abwegig, weil die USA nach der Lehman Brothers Pleite wohl kaum ein Interesse am Kollaps einer weiteren systemrelevanten Bank hatten (die UBS hat 30‘000 Arbeitsplätze in den USA), für die sie erst kurz vorher (anlässlich der Rettung der AIG) fünf Milliarden USD hatten bezahlen müssen.

Ich kann die Beisshemmung des GKP-Berichts gegenüber dem UBS-Management nicht verstehen. Als Beispiel kann auch die Lohnpolitik der Grossbank dienen. Viele verheerende Fehlentscheide im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts wie der Aktienrückkauf, das neue Risikomodell, die Aufblähung der Bilanzen, die Leverage mit Fremdkapital, das Überengagement im amerikanischen Subprimemarkt und im Offshore Geschäft waren eindeutig Boni-getriebene Aktionen. Die UBS hat im Bericht an ihre Aktionäre vom April 2008 bezüglich Fehlanreizen erstaunlich offen Selbstkritik geübt; die GPK dagegen übt sich in vornehmer Zurückhaltung. Sie begründet das damit, dass sie sich auf das Verhalten der Bundesbehörden konzentriere. Aber wie will man die Oberaufsicht über eine Aufsichtsbehörde wahrnehmen, wenn man sich kaum darum kümmert, was beim Objekt der Aufsicht, also bei der Grossbank UBS, tatsächlich ablief?

Am meisten enttäuscht hat mich, dass ich im Bericht der GPK von einer Bereitschaft

des Parlaments zur Selbstkritik wenig spüre. Parlamentsentscheide scheinen für die GPK sakrosankt zu sein. Mir gefällt die Empfehlung 4, die vor den Gefahren einer Abschottung (groupthinking) warnt. Müsste man diese Problematik nicht auch im eignen Hause angehen? Ich habe für mein Buch manche Parlamentsdebatten der letzten Jahre studiert und dabei den Eindruck erhalten, dass die Parlamentarier sich in ihrer Mehrheit den Banken gegenüber eher unkritischer verhielten als Bundesrat und Verwaltung. Es gab aber auch immer wieder Vorstösse, die vor wachsenden Gefahren aufgrund der Globalisierung des Finanzsektors warnten. Was die Too-big-to-fail-Problematik betrifft, so verlangte eine Motion Strahm (SP, BE) bereits 1998, den global tätigen Grossbanken zur Absicherung von systemischen Risiken höhere Eigenmittel vorzuschreiben. Obwohl der Nationalrat den Vorstoss im Jahre 2000 als Postulat überwies, geschah nicht viel, und noch 2006 begründete die Regierung ihre Untätigkeit damit, dass die Vorschriften der Bankenkommission den internationalen Empfehlungen von Basel II durchaus genügen und deshalb als Risikoabsicherung ausreichen würden. Dass eine kleine Volkswirtschaft mit sehr grossen Banken einem speziellen Risiko ausgesetzt ist, wollten die Behörden nicht wahrhaben, und das Parlament hat sich gegen diese Haltung nicht gewehrt.

Einen weiteren Punkt bezüglich Lernfähigkeit des politischen Systems wage ich anzusprechen: mit 5 Motionen, 2 Postulaten und ganzen 18 Empfehlungen soll das Parlament der Regierung und der FINMA Beine machen. Ich finde die Stossrichtung dieser Vorschläge mehrheitlich gut, befürchte aber, dass die damit verbundenen Controlling- und Reportingaufträge vor allem der Bürokratie Auftrieb geben werden. Weniger wäre wohl mehr gewesen. Denn zu viele Berichte über die Tätigkeit der Behörden verstärkt nur die Selbstreferenz; das politische System befasst sich mehr mit sich selbst als mit der notwendigen Verbesserung der politischen Beobachtung und Steuerung von wichtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Als Quintessenz meiner Beurteilung halte ich fest: Der GPK-Bericht ist eine gute Grundlage für die weitere Behandlung der Problematik, aber er genügt nicht zur politischen Bewältigung der Finanzmarktkrise. Dazu braucht es neben einer dichten Beschreibung des Behördenverhaltens auch eine kritische Analyse der anderen relevanten Akteure, insbesondere der UBS und namentlich auch in ihrer Interaktion mit der EBK. Um die Krise zu verstehen, muss man ihre Ursachen analysieren und die Geschichte ihrer Entstehung studieren. Dazu ist eine systemische Sichtweise nötig, die auch die Politik als Teil des Problems begreift. Erst mit einer kritischen Selbstbeobachtung befähigt sich die Politik, ihren wichtigen Teil zur Lösung des Problems und zur Bewältigung der Krise beizutragen.

Die noch zu leistende Arbeit könnte das Parlament den GPK in einem Zusatzauftrag übergeben oder, der politischen Bedeutung wohl eher entsprechend, einer PUK übertragen. Auch eine unabhängige Expertenkommission wäre vorstellbar, die über ähnliche Kompetenzen verfügen müsste wie die Bergier-Kommission; allerdings sollten dann die politischen Behörden diese Kommission ernst nehmen und sich mit ihren Ergebnissen auseinandersetzen.

Mehr zur Finanzmarktkrise in meinem neuen Buch:

Peter Hablützel, Die Banken und ihre Schweiz. Perspektiven einer Krise,

Zürich: Conzett Verlag/Oesch Verlag, 304 Seiten, erschienen im April 2010

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

1 Kommentar zum "Wie können wir die Finanzmarktkrise politisch bewältigen?"

  1. Hansjörg Zentner 5. Februar 2019 um 11:37 Uhr ·

    Was halten Sie von der Microtaxidee, die die Finanzwirtschaft wie die Realwirtschaft endlich gleich besteuern würde?

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