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Der Mosambik-CS-Skandal II

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1. Vorgeschichte: Wie in Mosambik die Korruption Einzug hielt
2. Folgen der Kreditkrise – ein Land am Abgrund

 

1. Vorgeschichte: Wie in Mosambik die Korruption Einzug hielt

Mosambik hat sich in den 41 Jahren seit seiner Unabhängigkeit von einem sozialistisch ausgerichteten, praktisch korruptionsfreien Land zu einem Tummelplatz des Raubkapitalismus entwickelt. Nach dem Ende des Bürgerkriegs, 1992, genoss es wegen seiner raschen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung, mit Wachstumsraten bis zu sieben, ja acht Prozent, längere Zeit den Ruf eines mustergültigen Entwicklungslandes. Heute gilt es als eines der korruptesten Länder im südlichen Afrika.[1] Wie kam es so weit?

In den neunziger Jahren machten IWF und Geberländer Druck auf die Regierung, sich den neolibera­len Empfehlungen – Privatisierung von Staatsbetrieben und Öffnung für den internationalen Markt – nicht länger zu widersetzen. Der Frelimo-Elite wurde im Interesse des „Trickle down-Effekts“ die Gründung staatsnaher privater Firmen erlaubt, ja empfohlen. Die private Bereicherung der Parteispitze nahm man als notwendiges und deshalb entschuldbares Übel hin – ebenso die damit verbundenen Skandale: Als Mitte der 90er Jahre auf Drängen des IWF zwei Banken privatisiert wurden, verschwanden 400 Mio $, eine der Banken kollabierte, die andere wurde 2001 vom Staat zurückgekauft. Mosambiks renommiertester Enthüllungs-Journalist und der Chef der Bankenaufsicht, die die Vorfälle aufarbeiteten, wurden ermordet. Diese Morde sind bis heute nicht restlos aufgeklärt. Auf Nyimpine Chissano, den Sohn des damaligen Präsidenten, fiel der Verdacht, diese Morde veranlasst zu haben, doch er starb seinerseits kurz bevor er vor Gericht aussagen sollte (über seinen Tod kursieren drei Versionen, am plausibelsten ist die Vermutung, dass er vergiftet wurde). Die Weltbank und einige Geberländer zeigten sich an der Aufklärung dieser Mordserie nicht sonderlich interessiert: Bei den Donatoren dominierten „public policies of not tackling past corruption“ (vgl. Anm 1).

In den 90er Jahren erlebte das Land buchstäblich eine Invasion durch ausländische Agenturen, Entwicklungs- und Nichtregierungsorganisationen. Um die Abwanderung des geschulten Personals aus dem Staatsdienst zu den besser bezahlenden ausländischen Arbeitgebern zu bremsen, wurden selektiv die staatlichen Gehälter erhöht. Gleichzeitig fielen die Monatsgehälter von Lehrern und Krankenschwestern auf unter 40$, weil der IWF darauf bestand, die Löhne von Staatsangestellten zu senken. Die sich öffnende Lohnschere förderte die Korruption in weiten Teilen der städtischen Bevölkerung. Als die Regierung die Geberländer darauf hinwies, dass zu niedrige Löhne im Bildungs- und Gesundheitswesen es verunmöglichten, die Millenniumsziele zu erreichen, wurde bei Projektmitarbeitern im Gesundheitsbereich eine Lohnerhöhung gutgeheissen, sie durfte aber im Budget und im Staatshaushalt nicht erscheinen.

Als es darum ging, Auslandsinvestitionen anzulocken, nahmen selektive Begünstigungen weiter zu. Das gleichzeitige Verbot, sie im Staatshaushalt sichtbar werden zu lassen, führten ab Ende der 90er Jahre zu einer Kultur der Verheimlichung, für die die Gebergemeinschaft anscheinend jahrelang Verständnis aufbrachte. Als der IWF die Gründung einer Entwicklungsbank für ländliche Regionen verbot, weil sie den freien Markt verzerre, gründete man auch diese Bank klammheimlich. Andererseits drückte die Gebergemeinschaft die Augen zu, als ein gewisser Mohamed Bachir Suleman („MBS“), der zum Freundeskreis der Präsidenten Chissano (1986-2004) und Guebuza (2005-2014) gehört, den grössten afrikanischen Drogenring aufbaute und mit dem Geld neben einer Moschee auch das vornehmste Shoppingcenter in Maputo sponserte. Die USA verboten ihren Lands­leuten zwar jegliches Geschäft mit „MBS“ und erklärten das Shoppingcenter zeitweilig zur Tabuzone, unternahmen aber nichts gegen das Drogengeschäft.[2] „MBS“ brauchte sich also nicht zu verstecken.

Bakhir Ayoob, Schwiegersohn des Drogenkönigs „MBS“, war noch dreister und begründete eine Organisation, deren Geschäft seit 2009 in der Entführung von Geschäftsleuten besteht.[3] Zunächst traf es nur muslimische Unternehmer, danach häuften sich die Entführungen und betrafen Unternehmer jeglicher Herkunft. Zwischen Kindnappern, Polizei und politisch exponierten Personen, möglichweise dem Präsidenten selbst, werden Verbindungen vermutet (Anm. 2), was auch erklären mag, weshalb Bakhir Ayoob nach seiner Festnahme im Sept. 2012 ohne transparente Gründe wieder freigelassen wurde[4] und sich ins Ausland absetzen konnte.

Im Jahr 2002 stimmte der Pariser Club einem Schuldenerlass für Mosambik von 90 bis 100% zu. Viele Geberländer, die ihre Entwicklungsgelder für Mosambik an Konditionen gebunden hatten, gingen zur Budgethilfe über (die Schweiz tat dies 2004): Sie unterstützten den Staatshaushalt mit ihren Beiträgen und berieten die Regierung, liessen diese aber über die Verwendung der Gelder autonom entscheiden. Für diesen Wechsel zur Budgethilfe gab es zwar gute Gründe: Wenn sich die Geberländer nicht auf einen einheitlichen Bedingungskatalog einigen konnten (was offenbar der Fall war), sah sich die Regierung mit einer Vielfalt sich womöglich widersprechender Konditionen konfrontiert, was den Aufbau einer kohärenten Budgetstrategie erschwerte oder verunmöglichte. Aber damit entfiel auch gleichzeitig eine wichtige Barriere gegen Korruption. Vor den Folgen verschlossen die Geberländer jahrelang die Augen. Mosambik ist eine Erfolgsstory – so lautete bis vor sehr kurzer Zeit der Commonsense in diplomatischen Kreisen…

In diesem Sinne hält auch der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 09.11.16 auf die Interpellation Sommaruga vom 28.09.16 fest, dass in den 12 Jahren der schweizerischen Budgethilfe an Mosambik Pro-Kopf-Einkommen und Einschulungsrate erheblich gestiegen seien.[5] – Der letzte Poverty Survey aus Mosambik zeigt allerdings ein differenzierteres und weniger rosiges Bild (→ Kasten „Aussage des Bundesrates vom 09.11.16“).

Aussage des Bundesrats vom 09.11.16: Seit 2004 hat in Mosambik das „Pro-Kopf-Einkommen von 318 US-$ (2014) auf 510 US-$ (2015, inflationsbereinigt)“ zugenommen. 2012 gingen vierzig Prozent mehr Kinder zur Schule als 2004. Hier ein Überblick über die letzten Poverty Surveys (basierend auf: IOF, Inquérito ao Orçamento das Famílias durch das mosambikanische Finanz- und Wirtschaftsministerium [MEF] vom 26.10.2016: [6]

  • Die absolute Armut hat sich seit 1997 zwar deutlich verringert, von 69 auf 49 Prozent, ist aber wegen des Bevölkerungswachstums in absoluten Zahlen von 11 auf 12 Millionen gestiegen.
  • Auf dem Lande ist die absolute Armut nur von 55 auf 50 Prozent zurückgegangen. In vielen ländlichen Regionen der zentralen Landesteile beträgt das Durchschnittseinkommen noch immer bloss 0,5 $ pro Person und Tag (182 $ im Jahr).
  • Der Gini-Koeffizient (Mass für Ungleichverteilung) ist zwischen 1997 und 2015 im Landesdurchschnitt von 0,40 auf 0,47 und in den Städten sogar von 0,47 auf 0,55 angewachsen, d.h. die Ungleichheit hat zugenommen.
  • Allein zwischen 2008 und 2014 hat sich die Schere zwischen Stadt und Land sowie innerhalb der Städte deutlich weiter geöffnet.
  • Der Einkommensunterschied zwischen dem reichsten und dem ärmsten Fünftel der Bevölkerung hat sich von 2009 bis 2015 verdoppelt: 2009 betrug er 7 : 1, 2015 bereits 14 : 1.
  • Der Analphabetismus ist im gleichen Zeitraum von 50 auf 45 Prozent zurückgegangen, aber im Alterssegment der 15- bis 19-Jährigen beträgt er immer noch 29 Prozent, obwohl nur 13 Prozent dieser Altersgruppe keine Schule besucht haben. Das bedeutet, dass immerhin 16 Prozent der Jugendlichen die Schule besucht und als Analphabeten verlassen haben. Schlussfolgerung: Dass Kinder zur Schule gehen, ist das eine. Ob sie sich dort auch die Kulturtechniken oder gar berufliche Fähigkeiten aneignen, ist etwas ganz anderes. Hierin liegt die eigentliche Herausforderung.
  • Das Gesundheitswesen ist nach wie vor prekär. Die HIV-Rate wird seit längerem unverändert auf etwa 15% der Bevölkerung geschätzt. Die Lebenserwartung beträgt knapp 50 Jahre.

Die Frage stellt sich: Sind die Fortschritte also wirklich so gross?

Mosambik1  Mosambik2
Links: Schulklasse in der Stadt Quelimane (April 2014). Rechts: Brennholzsammelnde Kinder. In ländlichen Gegenden Mosambiks beträgt das Durchschnittseinkommen noch immer bloss 0,5 $ pro Person und Tag.

Als im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts in Mosambik immer mehr Boden­schätze gefunden wurden (Kohle, Bauxit, Eisen, Titan, Tantal, Gold, Edelsteine und vor allem Erdgas), geriet das Land zunehmend in den Ruf eines Rohstoff-Eldorados. Die Auslandsinvestitionen nahmen zu. Der IWF riet der Regierung, grössere Investitionen über die Finanzmärkte aufzunehmen. Armando Guebuza, mosambikanischer Präsident von 2005 bis 2014 und gewiefter Geschäftsmann, zögerte nicht, diese Idee umzusetzen. In seiner Präsidentschaftszeit explodierte Mosambiks Kredithunger förmlich. Die Frelimo-Spitze wurde übermütig – insbesondere, als in den Jahren 2009 und 2010 im Rovuma-Becken, an der Grenze zu Tansania, grosse Offhore-Gasfelder (geschätzte 5,2 Billionen Kubikmeter) entdeckt wurden. Das Land gilt seither als drittgrösster Gaslieferant der Zukunft, hinter Qatar und Australien. Ein paar internationale Firmen sicherten sich die Filetstücke – so insbesondere die texanische Firma Anadarko (einer der Hauptaktionäre ist Dick Cheney)[7] und die italienische ENI. Im Sommer 2015 schwärmte das Afrika-Magazin in einer Nummer über „Africa – Pétrole et Gaz“ (www-afroca24mag.com) von den goldenen Wachstums-Chancen Mosam­biks: Bis zu 60 Millionen Tonnen verflüssigtes Gas werde das Land ab 2020 jährlich exportieren. Da der Staat die Gewinne mit 32% besteuern werde, werde sich seine Entwicklung bald beschleunigen. Diesem in Hochglanz pub­lizierten Versprechen entsprach die Wirklichkeit aber keineswegs. An den Staat gingen bislang nur je 5% der Gewinne aus dem Rohstoff-Export; weitere 5% werden insgeheim von der Nomenclatura abgezweigt.

Dies erklärt das fehlende Interesse daran, die Besteuerungspraxis im Rohstoffgeschäft zu ändern.[8]

Seit Mitte 2014 sind die Rohstoffpreise zusammengebrochen, diverse Investoren im Erdgasgeschäft zögern, die in Aussicht gestellten Investitionen zu realisieren. – Schwer begreiflich, aber der IWF prognosti­zierte noch im Januar 2016, die mosambikanische Wirtschaft werde vom Jahr 2021 an jährlich um 24% (!) wachsen.[9]

Die Gegenpartei Renamo forderte immer entschiedener, und seit anderthalb Jahren mit Waffen­gewalt, an der Rohstoff- und Kredit-Bonanza beteiligt zu werden – bisher erfolglos. Der bewaffnete Konflikt, der 2013 erstmals wieder aufflammte und seit Juni 2015 zunehmend Unsicherheit und Angst im Lande verstärkt, ist vor diesem Hintergrund zu sehen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es zwischen Christen und Muslimen in Mosambik[10] nie nennenswerte Spannungen gegeben hat, ebenso wenig wie zwischen den einzelnen Ethnien.

Das Konzept eines  mosambikanischen Kapitalismus, das sich seit 2010 an der Frelimo-Parteispitze herauskristallisierte, zeigt die folgenden Charakteristika: “(1) comprador: advancement in business is based on serving foreign interests – corporate, donor or lender; (2) secrecy: deals and development are done in secret, without public discussion; (3) self-interest: getting rich will help the poor and it is reasonable to want a share of the spoils; and (4) gas: loans will be paid off by the gas money” (Joseph Hanlon, s. Anm. 1).

Eine Anekdote veranschaulicht diese Haltung: Als am 25.03.2014 der für 6,2 Mio $ erwei­terte Flughafen von Pemba im Norden des Landes eingeweiht wurde, schwärmten die Medien vom Plan der Regierung, in Pemba schon 2014-18 einen neuen, grösseren Flughafen für einen dreistelligen Millionenbetrag zu bauen. Man suche bereits Geldgeber… Pemba hat nur 110‘000 Einwohner,  liegt aber in der Zone mit Erdgas.

Aktuelle Grossprojekte in Mosambik – seit kurzem fertiggestellt, im Bau oder geplant:

  • 1500 MW-Flusskraftwerk (Npanda Nkuwo) am Sambesi: 3,2 Mrd.$.
  • 15 MW-Kraftwerk Incomati-Fluss: 500 Mio $.
  • Ringstrasse um die Hauptstadt Maputo sowie Brücke über die Meeresbucht nach Catembe 725 Mio $.
  • Neues Hauptquartier der mosambikanischen Staatsbank: 300 Mio $.
  • Digitales TV-System [durch Firma von Valentina Guebuza]: 300 Mio$, von China geliehen.
  • Erweiterung des Präsidentensitzes: 75 Mio $.
  • Bau eines Luxushotels: 250 Mio $.
  • Neuer Hafen in Nacala: 125 Mio $ und Flughafen in Nacala: 144 Mio $.

 →  Seit 2012 haben sich die Schulden Mosambiks von 6 auf 11,9 Mrd $ fast verdoppelt.

Die Bereiche Gesundheit, Grundausbildung, Berufsbildung, Verkehrssicherheit und Förderung des öffentlichen Verkehrs sind weniger prestigeträchtig. Unter der Regierung Guebuza gab es hier keine grösseren Fortschritte. Der Plan, in der verkehrsmässig überlasteten Hauptstadt ein öffentliches Verkehrssystem mit Schnellbussen einzurichten (Kosten: 225 Mio $), wurde im Oktober 2016 sistiert. Die Mitteilung erfolgte 3 Tage nachdem Mosambik seine Zahlungsunfähigkeit erklärt hatte.

An dieser Stelle sei angemerkt, dass der Bundesrat in seiner Stellungnahme zur Interpellation Som­maruga vom 28.09.16 zum Mosambik-CS-Kreditskandal u.a. antwortete: „Die Schweiz ist ein lang­jähriger und anerkannter Partner der Republik Mosambik. Die koordinierte Entwicklungs­zusammen­arbeit der Schweiz (DEZA und SECO) in Mosambik konzentriert sich auf gute Regierungs­führung, institutionelle Reformen und Stärkung der Rechenschaft gegenüber der Bevölkerung“ (Anm. 5) – Mit guter Regierungsführung und Stärkung der Rechenschaft gegenüber der Bevölkerung hat die mosam­bikanische Regierung in den letzten Jahren allerdings nicht sonderlich geglänzt. – Zusätzlich zu den oben genannten intransparenten Geschäften ist im November 2016 ein weiteres entdeckt wor­den: Das mosambikanische Centro de Integridade Publica meldet, die kürzlich publizierte Staatsrech­nung für 2015 enthalte den Posten einer Zahlung von 937 Mio $ an einen nicht spezifizierten Empfänger im Ausland zu einem nicht spezifizierten Zweck und im Kontext eines nicht spezifizierten Darlehens.[11]

 

2. Folgen der Kreditkrise: Ein Land am Abgrund

Der im April 2016 aufgeflogene Kredit-Skandal ist für Mosambik wie eine offene Wunde, deren Pflege aber hinter der Vermeidung noch grösseren Unheils zurückstehen muss: Es droht ein neuer offener Krieg zwischen Frelimo und Renamo. Die Regierung dementiert zwar, dass mit den diversen Krediten Kriegsmaterial angeschafft worden sei. Das tut auch die französische Firma CMN, die mit dem Bau der Schiffe beauftragt war.[12] Diese Dementis sind aber wenig glaubhaft, und es gibt Äusserungen von Seiten der Regierung, die auf das Gegenteil hindeuten (siehe weiter unten).

Die Staats­schuld Mosambiks beträgt gegenwärtig 11,9 Milliar­den $ oder  93% des Bruttoinlandpro­dukts.[13] Für das Jahr 2017 sind 104,6% prognostiziert.[14] Den Berechnungen des Finanzministeriums zufolge stehen für die nächste Zukunft folgende Schuldzahlungsverpflichtungen an: 675,2 Mio $ für 2016;  803,8 Mio $ für 2017; 826,8 Mio $ für 2018; 865,5 Mio $ für 2019; 770,8 Mio $ für 2020 und 863,7 Mio für 2021.[15] Die Regierung hat sich daher am 25. Oktober 2016 für zahlungsunfähig erklärt.

Die finanzielle Notlage macht die mosambikanische Regierung leicht erpressbar. Es besteht die Gefahr, dass Staatsbetriebe privatisiert, ein Teil der Bodenschätze verschachert und Abbau-Konzes­sionen zu Schleuder­preisen verkauft werden, damit sich die Daumenschraube etwas lockert.[16] Das würde darauf hinauslaufen, dass der Rohstoffsegen für die Bevölkerung während vieler Jahre weiter­hin ein Fluch bleibt. Eine andere Strategie besteht in einer Annäherung Mosambiks an Indien, China und Russland, in der Hoffnung, von dort die Kredite zu erhalten, die der Westen dem Land  vorläufig verweigert. Kommt es mit den asiatischen Grossmächten zu einem Deal, kann die Regierung dies als Trumpf gegen den Westen ausspielen und diesen seinerseits tendenziell erpressen.

Als Folge der Finanzkrise ist am 11. November 2016 eine erste Bank („O Nosso Banco“, vormals BMI) konkurs gegangen.[17] Die Kreditaffäre hat aber auch einen Keil in die mosambikanische Gesellschaft und selbst in die Regierungs­partei Frelimo getrieben. Ein grosser Teil der Frelimo-Mitglieder ist wütend auf die Drahtzieher der Secrete Loans. Viele verlangen einen Strafprozess gegen Ex-Präsident Guebuza. Auf der anderen Seite setzen regierungsnahe Kreise auf eine Politik der Abwiegelung: Die Regierung habe keine schweren Fehler begangen, es sei doch klar, dass man Verteidigungsausgaben vor Parlament und Geberländern geheim halten müsse, der wahre Grund, weshalb Donatoren die Budgethilfe sistierten, sei die europäische Wirtschaftskrise.[18] Diese Abwiegelungsstrategie fällt in der Bevölke­rung nicht mehr auf fruchtbaren Boden. Offene Kritik ist aber riskant. Ein Kritiker, der Journalist José Macuane, wurde am 23.Mai 16 gekidnappt und schwer verwundet.[19] Über die staatliche Registrie­rung von SIM-Karten können Personen, die telefonisch zu Manifestationen aufrufen, leicht identifi­ziert werden, und die Polizei ist seit kurzem – durch Finanzierung über einen geheimen Kredit von 221 Mio $, der angeblich für den Schutz von Botschaften bestimmt ist (die CS hat mit diesem Kredit wahrscheinlich nichts zu tun) – gegen solche Eventualitäten besser gerüstet als je zuvor. Die politische Atmosphäre ist spannungsgeladen, die Menschen sind einge­schüchtert. Die Hoffnung auf bessere Zeiten hat ab- und die Gewaltbereitschaft zugenommen.

Besteht zwischen den geheimen Krediten und dem Wiederaufflammen bewaffneter Auseinander­setzungen zwischen Frelimo und Renamo ein Zusammenhang? Die Frage lässt sich nicht ganz eindeutig beantworten, aber ein Zusammenhang ist wahrscheinlich, und zwar in doppelter Hinsicht: Erstens flossen die Gelder an die Firmen Proindicus und Ematum ungefähr zu der Zeit, als sich zwischen Frelimo und Renamo erstmals seit 1992 wieder bewaffnete  Zusammenstösse ereigneten.[20]

Zweitens gehen die Gefechte zwischen Frelimo und Renamo, die 2015 erneut ausbrachen und nun fast täglich in wechselnden Landesteilen stattfinden, nicht nur auf die Tatsache zurück, dass in den Parlamentswahlen vom Oktober 2014 die Renamo in mehreren Provinzen (Bundesstaaten) die Mehrheit erzielt hat, die Gouverneure aber zentral vom Präsidenten, also durch die Frelimo, ernannt werden – nach dem Prinzip des „Winner takes all“ – sodass sich die Möglichkeit, Regierungsverant­wortung zu übernehmen, für die Renamo (wie übrigens auch für die wesentlich kleinere, bislang vor­bildlich operierende und sozial engagierte Partei MDM – Movimento Democrático de Moçambique) auf die Ebene der Gemeinden (autárquicas) beschränkt. Seit Bekannt­werden des Kreditskandals sind die kriegerischen Auseinandersetzungen nicht abgeklungen, sondern haben sich im Gegenteil eher noch verstärkt. Bestünde die Renamo darauf, an den Rohstoff- und Kredit-Pfründen beteiligt zu werden, so hätte sie sich im Jahr 2015 – einem Kalkül von J.Hanlon (vgl. Anm. 18) zufolge – wohl noch mit einem Anteil von 100 Mio $ zufrieden gegeben. Dieser Anteil würde heute bei einem Vielfachen dieses Betrags liegen. So gesehen, besteht zwischen dem Kreditskandal und der Intensivierung des bewaffneten Konflikts in Mosambik vermutlich ein direkter Zusammenhang – abgesehen davon, dass die Regierung mit den Krediten auch Kriegsgerät, wie Drohnen, anschaffte, das sie nun gegen die Renamo einsetzen kann. Als Folge dieses Konflikts fliehen immer wieder ganze Familien aus den Kampfgebieten ins angrenzende Ausland. Im April 2016 lebten in Malawi 11‘000 mosambikanische Flüchtlinge. Viele Menschen suchen in Zimbabwe, Südafrika und Tansania Schutz.[21]

In den letzten Monaten sind mehrere hohe Vertreter der Renamo auf offener Strasse ermordet worden,[22] am 08.10.2016 sogar der Chefunterhändler der Renamo in den Streitschlichtungs­gesprächen. Anscheinend wirken also hinter der Regierung oder vielleicht unabhängig von ihr Kräfte, die verhindern wollen, dass die zum Teil gerechtfertigten Forderungen und Vorschläge der Renamo auch nur ansatzweise erfüllt werden.

Die Befürchtung, ein grosser Teil der verschwundenen Gelder sei in militärische Güter und Waffen investiert worden, heizt die Spannungen zusätzlich an. Für einen Teil der Kredite dürften zwar Patrouillen- und Schnellboote angeschafft worden sein, um die Gasfelder und ihre Infrastruk­tur zu sichern. Doch die im November 2013 bekannt gewordenen Pläne, Flugzeuge und weitere Rüstungs­güter anzuschaffen,[23] lassen wenig Spielraum für die Hoffnung, dass nicht auch militärisch aufgerüs­tet werden sollte. Nicht sehr optimistisch stimmt zudem der (bisher) als letzter bekannt gewordene geheime Kredit von 221 Mio$ für Polizeiausrüstung und Panzerwagen.[24] Die Bevölkerung hat Angst: vor einem Staatsbankrott, vor gewalttätigen Reaktionen auf die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, vor einer Ausweitung der kriegerischen Gewalt. Wer es sich leisten kann, verlässt das Land.

Es ist dringend, dass die Credit Suisse zu ihrer Rolle bei den Ereignissen in Mosambik öffentlich Stellung bezieht und erklärt, was sie zur Schadensbegrenzung beizutragen gedenkt – damit es nicht eines Tages heisst, die Bank habe mit ihrem Verhalten (unter anderem) einen Beitrag zur Entstehung neuer Flüchtlingsströme geleistet.

 

Bemerkung: Sämtliche in diesem Text erwähnten Links zu Artikeln wurden am 7.12.2016 im Internet verifiziert. Elisa Fuchs und ‚Miguel‘ Marguerite Misteli danke ich für Präzisierungen des Textes  hinsichtlich der Geschichte Mosambiks.


[1] Die meisten Informationen aus: Joseph Hanlon: Following the donor-designed path to Mozambique’s US$2.2 billion secret debt deal. Third World Quarterly. Published 19 Oct 2016. http://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/01436597.2016.1241140. Vgl. auch:Joseph Hanlon, 27.10.16: ttp://allafrica.com/stories/201610310600.html

[2] Lesenswert dazu: Christian Bütikofer: Schweizer Entwicklungshilfe fürs Volk und Drogenmillionen für die Elite.  Journalicious Dots from Switzerland. 09.12.2010; http://blog.buetikofer.net/category/entwicklungshilfe/. Andere Quelle: http://www.open.ac.uk/technology/mozambique/sites/www.open.ac.uk.technology.mozambique/files/pics/d135480.pdf.

[3] The Global Initiative against transnational organized Crime, 20.Dez. 2015: http://globalinitiative.net/held-to-ransom-an-overview-of-mozambiques-kidnapping-crisis/

[5] Antwort des Bundesrats (09.11.16) auf eine Interpellation von Carlo Sommaruga (28.09-16): Bezahlen die Schweizer Budgethilfe und die Bevölkerung von Mosambik die Verluste unsorgfältiger Investitionen der Credit Suisse? https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20163718

[6] Joseph Hanlon: Mozambique News & Reports Clipping 344 (31.10.16): Poverty Survey Supplement. Zugänglich über: https://www.open.ac.uk/technology/mozambique/mozambique-reports-and-documents

[7] US-Aussenminister unter Präsident Bush junior; Cheney unterhält in Mosambik inzwischen auch eine private Fluglinie.

[8] Private Mitteilung durch einen Minenbetreiber. Das wird von internationalen Presse bestätigt:  „Weil sogar die internationalen Konzerne den Reichtum im Boden und am Meeresgrund zunächst unterschätzt hätten, seien diese (…) mittlerweile bereit, die Verträge zugunsten der Regierung nachzuverhandeln, doch die habe kein Interesse.“ Grund: „Die Mitglieder unserer Regierung sind so korrupt, dass sie sich schon bei den ersten Verträgen die Taschen vollgemacht haben. Sie wollen nicht, dass die Verträge bei Nachverhandlungen offengelegt werden“, sagt ein Kenner der Verhältnisse. Philipp Hedemann: Rohstoff-Bonanza im Rovuma-Becken. Die ZEIT, 31.01.2013.

[9] International Monetary Fund: IMF Country Report 16/10: Republic of Mozambique. Selected Issues, 13 January 2016, p.5 (http://www.imf.org/external/pubs/ft/scr/2016/cr1610.pdf). Vgl.  Agentur Bloomberg: Mozambique’s Economy to Expand Annual 24% by 2021, IMF Says. 15.01.2016: http://www.bloomberg.com/news/articles/2016-01-15/imf-sees-mozambique-s-annual-gdp-at-24-from-2021-2025-on-gas-ijfakhg8

[10] Etwa die Hälfte der Bevölkerung in Mosambik bekennt sich zu keiner monotheistischen Religion. Insgesamt sind etwa 56% Christen (davon etwas mehr als die Hälfte römisch-katholisch) und 18% Anhänger des Islam, der sich übrigens gut 600 Jahre vor dem Christentum dort ausbreitete.

[11] Centro de Integridade Publica, Bulletin No 44/2016 vom November 16: http://cipmoz.org/images/Documentos/Financas_Publicas/42MMT.pdf

[12] Die Online-Version des NZZ-Artikels (Anm 25) enthält einen Zusatz, der 2 Tage später (am 31.08.16) ergänzt wurde: „Priv­invest (…) widerspricht dieser Darstellung [wonach der Armee ‚auffallend viele Ressourcen zugeflossen‘ seien]: Keiner­lei Gelder aus den drei Investitionsprogrammen seien für Waffenkäufe benutzt worden, betont der Unternehmenssprecher.“

[13] Daniel Stern: Der fischige Deal der Credit Suisse. WOZ, 09.06.2016: http://www.woz.ch/1623/staatskrise-in-mocambique/der-fischige-deal-der-credit-suisse

[17]Hauptaktionär der Bank ist das Inst. für Sozialversicherung. Mosambikanische  Arbeitnehmer(innen) verlieren über 6 Mio $ an obligatorischen Versicherungsbeiträgen, und Tausende von Kleinverdienern verlieren ihre Ersparnisse. Verdade, 14.11.16: http://www.verdade.co.mz/tema-de-fundo/35-themadefundo/60101-ha-15-anos-que-dinheiro-da-seguranca-social-tem-sido-gasto-no-bmi-nosso-banco-instituicao-dissolvida-pelo-banco-de-mocambique. Und: msn notícias, 14.11.16: Em Moçambique o „Nosso Banco“ encerrou as portas: https://www.msn.com/pt-pt/noticias/other/em-moçambique-o-nosso-banco-encerrou-as-portas/ar-AAkhO4Y.

[19] Dazu Transparency International vom 25.05.16: http://www.transparency.org/search. Dann bei search „José Macuane“ eingeben.

[20] Über die Kämpfe des Jahres 2013 in Mosambik vgl. den in der Schweiz zugänglichen Bericht von Jonathan Wild: Das Gespenst des Bürgerkriegs. NZZ 05.12.2013: http://www.nzz.ch/das-gespenst-des-buergerkriegs-1.18198138

[21] Mozambique: Banditry Forces Thousands Out of Mozambique. 19.09.2016: http://allafrica.com/stories/201609200345.html

[22] Dazu: Der Mosambik-Credit Suisse-Skandal I, zweiter Anhang, www.rat-kontrapunkt.ch/kategorie/wirtschaft/individuelle-texte-wirtschaft/

[23] Notícias Medioteca 19.11.13: Analista desvaloriza receios perante reforço militar moçambicano: http://www.dw.com/pt-002/analista-desvaloriza-receios-perante-reforço-militar-moçambicano/av-17239376

[24] Alex Wines: How can Moçambique manage its debt crisis? 16.05.16 (https://www.chathamhouse.org/EXPERT/COMMENT/HOW- (https://www.chathamhouse.org/EXPERT/COMMENT/HOW-CAN-MOZAMBIQUE-MANAGE-ITS-DEBT-CRISIS). Auch J.Hanlon: News Reports & Clippings, No.318, 05.05.16.

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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