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Hochschulen: Ist eine zukunftsfähige Nachwuchs- und Mittelbaupolitik möglich?

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Von Kontrapunkt* vom 15. Dezember 2016

Mit der Errichtung der Fachhochschulen (FH) und der Pädagogischen Hochschulen (PH) begann sich seit Mitte der 1990er Jahre der schweizerische Hochschulraum neu zu formieren. Zwar verfügen mit Aufgaben in Lehre, Forschung, Weiterbildung und Dienstleistungen nun die Universitären Hochschulen (UH), die FH und die PH über einen identischen Leistungsauftrag. Das heisst jedoch nicht, dass die verschiedenen Hochschultypen ihren Platz im Hochschulraum gefunden hätten. Weiterhin befindet sich die Profilbildung mit ihren hochschulinternen Voraussetzungen als Thema auf der wissenschaftspolitischen Agenda. Dazu gehören auch Fragen des wissenschaftlichen Personals, seiner Struktur und seiner organisationalen Einbettung.

Im Folgenden wird zunächst gezeigt, welche Vorstellungen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in den letzten Jahren auf Bundesebene diskutiert wurden. Dann wird auf ausgewählte blinde Flecken dieser Diskussion hingewiesen. Abschliessend werden einige Anregungen zu einer zukunftsfähigen Mittelbaupolitik[1] formuliert. Es versteht sich von selbst, dass bei diesem fokussierten Vorgehen – Bezug zu aktuellen Positionsbezügen auf Bundesebene – die Nachwuchs- bzw. Mittelbauproblematik inhaltlich nicht in ihrer Breite thematisiert wird.

 Zum Diskurs über den wissenschaftlichen Mittelbau

Verschiedene wissenschaftspolitische Stakeholder haben sich in den letzten Jahren mit Fragen zum wissenschaftlichen Nachwuchs auseinandergesetzt. Der Schweizerische Wissenschafts- und Innovationsrat (SWIR) analysiert unter einem humankapitaltheoretischen und förderungsorientierten Blick den Beitrag des Bildungssystems für eine innovative Schweiz.[2] Er knüpft damit an den weltweit vorherrschenden, nicht hinterfragten bildungsökonomischen Diskurs an und postuliert die Ausschöpfung brachliegender Begabungspotentiale. Seine Überlegungen konkretisiert er am Beispiel des wissenschaftlichen Nachwuchses für die UH. Er empfiehlt u.a., zusätzlich zu den Assistenzprofessuren (mit oder ohne Tenure Track) und den Förderungsprofessuren des SNF die vertikale Positionsstruktur für in Forschung und Lehre erfahrene Promovierte weiter zu differenzieren. Ausführlich hat sich dieses Gremium 2015 auch mit der besonderen Leistungsfähigkeit der vielfältigen fach- und sprachraumspezifischen Promotionskulturen und den Tenure Track-Modellen an den UH auseinandergesetzt.[3] Anlässlich eines Hearings vor der WBK des Ständerates (2012) hat eine Gruppe „Junger Forschender“ sich klar für eine Enthierarchisierung der Karrierestruktur an den UH, die Schaffung von 1000 Tenure Track-Assistenzprofessuren bis 2020, bessere Löhne sowie eine Reform des Doktorates (u.a. Veränderung der Betreuung) ausgesprochen.[4]

Ausführlich beschäftigt sich der Bundesrat 2014 mit der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in seinem Bericht auf ein Postulat der WBK-SR.[5] Vier Fragen stehen für ihn im Vordergrund: Wie ist die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses an UH und FH zu beurteilen? Sind Rekrutierungsverfahren und Förderung angemessen? Gelingt es, genug Frauen zu gewinnen? Und wie ist zeitliche Organisation der Selektion? Bei der Erarbeitung dieses Berichtes wurden alle wissenschaftspolitischen Stakeholder einbezogen. Ausserdem wurden relevante Dokumente der Stakeholder und einschlägige Analysen ausgewertet. Somit ist der Bericht sachlich und politisch breit abgestützt. Inhaltlich wird im Bericht zunächst die Ausgangslage skizziert und gezeigt, dass der Karriereweg der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit dem Typus der Hochschule und seinem Profil zusammenhängt. Dann werden die Struktur des wissenschaftlichen Personals (knapp), Arbeitsbedingungen (inkl. Löhne), Karriereaussichten und Selektionspraxis von Doktoranden und Doktorandinnen sowie Postdocs an den UH analysiert. Punktuell verweist der Bundesrat dabei auf internationale Entwicklungen. Die Situation des Mittelbaus an den FH wird unter ähnlichen Fragestellungen analysiert. Ein Querschnittthema bildet ferner die Chancengleichheit an den Hochschulen. Abschliessend wird den Verantwortlichen an und für die UH empfohlen, für einen „langfristigen, bedarfsgerechten Umbau der Karrierestruktur“ besorgt zu sein. Dazu kann eine Differenzierung der vertikalen Positionsstruktur gehören. Ebenfalls empfiehlt der Bundesrat, die Betreuung des wissenschaftlichen Nachwuchses – „wo nötig“ – zu verbessern. An den FH drängt es sich seiner Ansicht nach auf, klare Personalprofile mit entsprechenden Aufgaben zu definieren und “mehrfache Verlängerungen von Arbeitsverträgen“ von Mittelbauangehörigen zu vermeiden. Im Anhang des Berichtes wird auf die Praxis der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses hingewiesen (SNF, weitere Stiftungen). Auch die Situation des Nachwuchses an PH wird kurz angesprochen.

Der Bericht des Bundesrates und seine Empfehlungen beziehen sich inhaltlich auf die UH und die FH. Seine Analysen und die vorgeschlagenen Massnahmen sind wohl begründet und nachvollziehbar. . Mehrmals betont er, dass seine Vorschläge auch im Lichte der jeweiligen Hochschultypen und Fächer zu prüfen und zu konkretisieren seien. Im Bericht wird zudem ein Schwergewicht auf personenbezogene Massnahmen gelegt, während die strukturellen, organisatorischen und kulturellen Rahmenbedingungen nur punktuell, wenn überhaupt, thematisiert werden. Mit diesem analytischen Zugriff trägt der Bericht zu wenig der Tatsache Rechnung, dass Qualität und Sozialisierung in den Wissenschaften immer auch das Ergebnis des Zusammenwirkens von personalen, organisationalen und kulturellen Grössen ist. Ein etwas breiterer analytischer Zugang zur Problematik des Mittelbaus würde vermutlich weitere wissenschaftspolitische Handlungsräume erschliessen und auch die Zukunftsfähigkeit der Mittelbaupolitik allgemein verbessern. Auf drei zentrale Schwachstellen bei der Analyse der Mittelbauproblematik soll im Folgenden hingewiesen werden.

 Veränderungen der Grenzen im Hochschulraum

Mit dem neuen Hochschulförderungs- und Koordinationsgesetz wurde vor kurzer Zeit ein Rahmen für die Entwicklung der UH, der FH und der PH und somit für den Hochschulraum Schweiz geschaffen. Daher überrascht es, dass der Bundesrat vermutlich aus rechtlichen und politischen Erwägungen die von den Kantonen getragenen und finanzierten PH nur im Anhang erwähnt und nicht in die Studie einbezieht. Damit klammert er einen grossen Teil des akademischen Arbeitsmarktes aus der Analyse aus und lässt einen wichtigen Teil des Hochschulraumes bei seiner interventionsbezogenen Analyse unberücksichtigt. Zudem trägt er in seinem Bericht dem organisationalen Wandel der Hochschulen seit Mitte der 1990er Jahre zu wenig Rechnung. Anders als politisch gewollt kam es in dieser Periode zu keiner klaren Grenzziehung zwischen den drei Hochschultypen (FH, PH und UH). Vielmehr kann unter einer Wissensperspektive eine Überlagerung der politisch intendierten Strukturbildung durch fachgruppenspezifische Dynamiken und Entgrenzungen beobachtet werden, die teilweise nach je besonderen Regeln funktionieren. So hat sich bspw. zwischen der Betriebswirtschaftslehre, der Psychologie, den Erziehungswissenschaften, der Linguistik und teilweise der Sozialen Arbeit, die an unterschiedlichen Hochschultypen angeboten werden, ein kompetitives Verhältnis herauskristallisiert. Der Mittelbau wird in diesen Fächern mit zum Teil unterschiedlichen strukturellen, organisationalen und kulturellen Bedingungen der Arbeit konfrontiert. Es besteht kein Zweifel: Eine nachhaltige und wirksame Förderungspolitik zugunsten des Mittelbaus an den Hochschulen muss auch der Expansion und den sich abzeichnenden strukturellen Entwicklungen im schweizerischen und internationalen Hochschul- und Wissenschaftsraum Rechnung tragen.

 Neue Technologien, Netzwerke und wissenschaftliche Sozialisierung

Expansion, Differenzierung und Praktiken in den Wissenschaften werden in mehrfacher Hinsicht durch die Digitalisierung dynamisiert. Dank den neuen Technologien können die Mitglieder der fachspezifischen Communities leichter untereinander kommunizieren, sich vernetzen, neue Formen der hochschulübergreifenden Zusammenarbeit entwickeln und ihre Arbeitsbeziehungen dauerhaft gestalten. Dass dabei die zunehmend transnational organisierten wissenschaftlichen Communities immer wichtiger werden für den Wissensaustausch, den Reputationserwerb und die Karriere überrascht wenig. Unter forschungspraktischen Gesichtspunkten werden zudem dank der Digitalisierung in vielen Disziplinen grosse Datenmengen verfügbar, die nicht nur mit neuen Methoden bearbeiten werden müssen, sondern auch neue wissenschaftliche Erkenntnismöglichkeiten eröffnen. Entsprechende Vorhaben können angemessen nur in grösseren Teams oder Netzwerken bearbeitet werden. Schliesslich ist offensichtlich, dass sich über die „Web 2.0-Technologien“ den Forschenden neue, erweiterte Möglichkeiten eröffnen, im unüberblickbaren Publikationsfeld auf sich aufmerksam zu machen und gegebenenfalls Reputation zu erwerben. Diese Entwicklung führt insgesamt, wenn auch mit Unterschieden nach Fachgruppen, zu einer Verlagerung der Wissensproduktion vom lokalen, in den nationalen und internationalen Raum oder zugespitzt formuliert, vom lokalen Hochschul- in den internationalen Fachkontext. Mit Blick auf Position und Funktion des Mittelbaus an den Hochschulen sind die angesprochenen Entwicklungen folgenreich: Stabilität und Dynamik der netzwerkartigen Strukturen der Communities sind einerseits auf aktive und initiative Mitglieder angewiesen, die in der Lage sind, Zeit zu investieren. Andererseits erleichtert eine solche Struktur den Zugang ins überlokale wissenschaftliche Feld und die Teilhabe an der entsprechenden, meist spezialisierten Kommunikation. Die Forschenden treten hier fast wie „Selbstunternehmende“ auf und nutzen das Netzwerk als Forum, um ihre Arbeit sichtbar zu machen. Gleichzeitig verlieren in solchen eher horizontalen Organisationsformen die traditionellen Hierarchien ein Stück weit ihre Bedeutung, auch mit Blick auf die wissenschaftliche Sozialisierung. Die fachlichen Netzwerke werden somit allgemein zu einem Ort persönlicher wissenschaftlicher Weiterqualifizierung. Forschungsaktive Mittelbauangehörige können jedoch diese erweiterten Handlungsspielräume nur nutzen, wenn sie lokal möglichst früh auf ihrem Karriereweg den Freiraum dafür haben.

 Organisation und Umwelten in der Forschung

Unter programmatischen Gesichtspunkten kann den schweizerischen UH der Charakter von „Institutsuniversitäten“ zugeschrieben werden. Das heisst, die Disziplinen, Lehrstühle und Institute strukturieren in hohem Masse die Organisation. Sie stellen die Entwicklung und Stabilisierung der Disziplinen sicher. An den FH und PH dagegen bilden die Lehre und die Studiengänge das dominante Strukturprinzip. Im Vordergrund steht hier die „Reproduktion der Höheren Berufe“. Mit der Integration der FH und PH in den schweizerischen Hochschulraum und der Erweiterung ihres Leistungsauftrages durch Forschung wurde dieses Organisationsmuster in den letzten Jahren in einzelnen Fachbereichen der FH bzw. an PH verändert. Eine einheitliche Form, die Forschung zu organisieren, ist nicht entstanden. Analog zur universitären Struktur haben beispielsweis verschiedene FH für die Forschung in der Sozialen Arbeit, der Kunst, des Design, der Betriebswirtschaftslehre und für weitere Fachbereiche eine Institutsstruktur eingeführt. Ähnliche Reformen wurden auch an der PH der Fachhochschule Nordwestschweiz durchgeführt. Diese Entwicklung zeigt, dass einige FH und PH dazu tendieren, organisational und programmatisch universitätsähnlicher zu werden.

In der Schweiz mit ihren zahlreichen Hochschulen unterschiedlicher Grösse ist zwar eine grosse Offenheit für neue, internationale Entwicklungen in den Wissenschaften und der Disziplinbildung zu beobachten. Aber ihrer dauerhaften Institutionalisierung und systematischen Weiterentwicklung sind doch da und dort Grenzen gesetzt. Die organisatorischen Einheiten für die Forschung der oft kleinen Hochschulen sind dispers verteilt; sie sind meist nur mit knappen Mitteln ausgestattet. An den FH und teilweise auch an den PH verfügt die Professorenschaft wegen der umfangreichen Lehrdeputate nur über geringe zeitliche Ressourcen für Forschung. Unter diesen Voraussetzungen sind das Anregungspotential für die Forschenden und die Entwicklungsmöglichkeiten in einem Forschungsfeld notwendigerweise begrenzt. Die jeweiligen organisatorischen Einheiten sind oft zu klein, um einen fruchtbaren, kontroversen und kompetitiven wissenschaftlichen Austausch und damit entsprechende wissenschaftliche Fortschritte vor Ort zu ermöglichen[6]. Solche Einheiten mit unterkritischer Grösse finden sich nicht nur an PH und FH, sondern ebenfalls an universitären Hochschulen. Angesichts der fortschreitenden Expansion der Wissenschaften und ihrer Internationalisierung sind solche Strukturen nicht mehr zeitgemäss.

An FH und PH behindert nicht nur die Knappheit der Ressourcen die Entwicklung der Forschung, sondern auch der Druck, diese über Drittmittel finanzieren zu müssen. Dieser Finanzierungsmodus erschwert es in der Regel den Forschenden, sich ein systematisch akkumuliertes Forschungswissen in einem bestimmten Feld anzueignen. Kontinuität auf einer angestrebten Forschungslinie ist angesichts unterschiedlicher Auftraggeber und Fragestellungen meist erschwert. Zudem stellt die jeweilige Vergabe von Forschungsprojekten nicht das Ergebnis eines peer-reviewten Prozesses dar. Die Fragestellung wird meistens von jenen definiert, die einen Auftrag erteilen. Schliesslich ist in der Auftragsforschung und in Kooperationsprojekten (zwischen Hochschulen und externen Akteuren) immer auszuhandeln, wem die Forschungsergebnisse gehören und wer über sie verfügen kann. Aus all diesen Gründen sind bei diesen Bedingungen die Chancen der Forschenden, Ergebnisse der Auftragsforschung in der fachlichen Community zu kommunizieren, dadurch wissenschaftliche Reputation zu erwerben und sich im Wissenschaftssystem zu positionieren, begrenzt.

Insgesamt sind Forschende an FH und PH sowie an kleinen Instituten der UH im Feld der Wissenschaften im Hinblick auf ihre Reputationschancen gegenüber ihren Kollegen und Kolleginnen aus den UH benachteiligt. Um diese Benachteiligungen auszugleichen sind personenbezogen Förderungen sicher notwendig, allein aber kaum hinreichend.

 Erweiterung der wissenschaftspolitischen Perspektive?

In den Wissenschaften ist der Wettbewerb der Ideen und Erkenntnisse kulturell und strukturell verankert. Besonders die oft steilen Hierarchien mit knappen Spitzenpositionen erzwingen ihn. Wettbewerb gilt daher unter den „Kopfarbeitenden“ zu Recht als wichtiger Mechanismus, um den wissenschaftlichen Fortschritt voranzutreiben, Potentiale auszuschöpfen und die Qualität zu steigern. Forschungseinheiten sollten daher grundsätzlich so gross sein, dass unter den Beteiligten ein kritischer Diskurs möglich ist. Zudem ist mit Blick auf den schweizerischen Hochschulraum die Förderung des akademischen Mittelbaus strukturell und instrumentell so anzulegen, dass eine Segregation vermieden wird. Forschende in Fachbereichen, die an verschiedenen Hochschultypen gepflegt werden, bilden ein Segment des wissenschaftlich-akademischen Arbeitsmarktes. Das würde auch bedeuten, dass nicht jeder Hochschultyp alleinverantwortlich für einen qualifizierten Nachwuchs bzw. Mittelbau ist. Je grösser das wissenschaftlich-akademische Arbeitsmarktsegment ist, desto zahlreicher die beruflichen Optionen für die Forschenden und desto wahrscheinlicher organisationsübergreifende wissenschaftliche Karrieren. Umfangreichere wissenschaftlich-akademische Arbeitsmarksegmente dienen auch den Hochschulen. Sie können bei Personalrekrutierungen aus einem vergrösserten Pool an qualifizierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen rekrutieren.

Was dies konkret bedeutet, soll am bereits erwähnten Segment mit den Fächern Psychologie, Erziehungswissenschaften, Linguistik, Betriebswirtschaftslehre und Soziale Arbeit konkretisiert werden, die an FH, UH und PH gepflegt werden. Um die Qualität der Forschung in diesen Fächern bzw. Forschungsfeldern und ihre Profil zu stärken, könnte erwogen werden, im „Niemandsland“ zwischen den Hochschultypen Forschungsinfrastrukturen einzurichten, die von Forschenden der UH, der PH und der FH gemeinsam benutzt werden. Bei diesen Forschungsinfrastrukturen handelt es sich um relativ autonome organisationale Einheiten mit einem kleinen ständigen professionellen Kern an Mitarbeitenden, in denen im Rahmen einer expliziten, inhaltlich ausgerichteten Forschungsperspektive zeitlich begrenzte Forschungsprojekte realisiert werden und der fachliche Austausch kontinuierlich gepflegt wird. Diese Organisationen sind ein Ort, an dem eine Kultur der wissenschaftlichen Kommunikation und Kooperation hochschultypübergreifend entwickelt werden kann. Theoretische Zugänge liessen sich auf ihre Praxisrelevanz testen. Anwendungsorientierte Forschung würde im Hinblick auf ihre wissenschaftliche Fundierung geprüft. So könnten sich Theorieentwicklung und Anwendungsorientierung in einem dialogischen Wechselspiel aufeinander beziehen, was sicher zu qualitativen Verbesserungen in beiden Forschungszweigen führen würde. Längerfristig darf erwartet werden, dass eine solche Infrastruktur zur klareren Profilierung der Forschung an den jeweiligen Hochschultypen beitragen würde. Ferner würde eine gemeinsame Forschungsinfrastruktur von UH, FH und PH auch günstige Voraussetzungen für die formale wissenschaftliche Weiterqualifizierung der forschenden Mittelbauangehörigen (z.B. in den Promotions- und Postdocphasen) der FH und PH bieten. Sie wäre auch ein Ort, wo die neuen hochschulübergreifenden, kooperativen Doktorandenprogramme institutionalisiert werden könnten. Dass eine solche institutionelle Lösung bei den UH auf eine gewisse Skepsis stossen dürfte, ist zu erwarten. Nach wie vor werden die feinen Unterschiede zwischen den Hochschultypen gepflegt. Überdies wird an dieser Stelle nicht auf Durchlässigkeit und ad hoc Kooperation zwischen den Hochschultypen gesetzt. Erfahrungen im Bildungs- und Hochschulbereich zeigen, dass Durchlässigkeit zwar ein beliebtes hochpolitisches Postulat ist, dass sie jedoch wegen organisationalen Eigeninteressen faktisch (empirisch) schwer einzulösen ist. Allgemein gilt auch hier: Eine Institutionalisierung der vorgeschlagenen Infrastruktur würde der Dynamik in den Wissenschaften angemessen Rechnung tragen.

Die hier beispielhaft skizzierte Idee der Institutionalisierung eines fachgruppenspezifischen und hochschultypenübergreifenden Kommunikations – und Kooperationsraumes lässt sich auch auf andere Fachgruppen übertragen, die an zwei Hochschultypen gepflegt werden. Zu denken ist etwa an die Fachbereiche der Ingenieurwissenschaften, der Architektur und der Naturwissenschaften. In Fächern und Fachgruppen dagegen, die lediglich an einem Hochschultyp angeboten werden (z.B. Theologie und Philosophie an UH oder Design, Künste und Musik an FH), stellt sich hingegen die Frage, ob sich durch hochschulübergreifende Forschungsprogramme die Bedingungen für die fachwissenschaftliche Weiterqualifizierung systematisieren und verbessern lassen. Entscheidend ist immer, dass die getroffenen institutionellen Lösungen den Wettbewerb und die Qualität in der Forschung stärken. Dafür braucht es notwendigerweise einen stabilen Kommunikations- und Kooperationsraum, der genug gross ist. Schliesslich versteht es sich von selbst, dass solche Institutionalisierungen den schweizerischen Wissenschaftsstandort im internationalen Feld stärken.


[1] Im politischen Diskurs wird meistens der Begriff Nachwuchs verwendet. Auf diesen Begriff wird in diesem Papier – soweit nicht auf bestimmte Texte Bezug genommen wird – zugunsten des Begriffs Mittelbau verzichtet. Damit soll die eigenständige und produktive Funktion dieser Personalkategorie in den Wissenschaften betont werden. Es ist bekannt, dass längst nicht jeder Angehörige des Mittelbaus eine Professur als Berufsziel hat.
[2] Schweizerischer Wissenschafts- und Technologierat: Nachwuchsförderung für eine innovative Schweiz. SWTR Schrift 2/2013. Bern
[3] Schweizerischer Wissenschafts- und Innovationsrat: Promotionskulturen und Tenure Track-Modelle der Schweizer Universitäten. SWIR Schrift 20/2015. Bern
[4] Vision 2020: “Ohne massiven Umbau der universitären Hierarchien wird die Schweiz ihre Eliten vorwiegend aus dem Ausland einkaufen müssen“. Positionspapier Junger Forschender; Hearing WBK-SR, 2. April 2012
[5] Massnahmen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in der Schweiz. Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats WBK-SR (12.3343). 2014. Bern
[6] Dass „Kleininstitute“ in Einzelfällen wissenschaftlich erfolgreich sein können, wird nicht bestritten. Die Regel ist es nicht.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
Prof. Dr. Marc Chesney, Finanzwissenschaftler, Universität Zürich; Prof. Dr. Jean-Daniel Delley, Politikwissenschafter, Universität Genf; Prof. em. Dr. Philippe Mastronardi, Öffentlichrechtler, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Fritz Osterwalder, Universität Bern; Prof. em. Dr. Hans-Balz Peter, Sozialethiker und Sozialökonom, Universität Bern; Prof. Dr. Christoph Stückelberger, Wirtschaftsethiker, Universität Basel; Prof. em. Dr. Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. em. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel.

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