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Die Nationalbank und ihre Mythen

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Die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) anfangs Jahres, die Untergrenze des Euro zum Franken aufzuheben, hat alle überrascht. Um Spekulationen zu verhindern, musste der Schritt rasch erfolgen. Die Begründung war konfus, konnte sich jedoch offensichtlich auf eine Mehrheit im Parlament abstützen. Elf Monate später scheint diese Mehrheit weiterhin gesichert, ohne dass es zu einer ernsthaften öffentlichen Debatte über diesen Entscheid gekommen wäre. Die Mythen, die die SNB umranken, haben voll ihre Wirkung erzielt (Kommentar von Peter Fischer in der NZZ vom 5. Dezember 2015: «Die Nationalbank ist nicht das Problem»).

  • Der erste Mythos geht von einer scharfen Trennung zwischen Geld- und Realmärkten aus: Geldpolitik habe keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Realwirtschaft und müsse strikt der Inflationsbekämpfung dienen, indem sie das Anwachsen der im Inland zirkulierenden Geldmenge begrenzt, so lautet die klar auf der Doktrin des Monetarismus basierende Botschaft. Gleichzeitig erfordert jedoch der Kampf gegen die Verteuerung des Schweizer Frankens eine Ausweitung der Geldmenge. Der Konflikt ist vorprogrammiert: Währungs- und Preisstabilität sind nicht vereinbar. Die schwindelerregende Ausdehnung der Finanzmärkte während der letzten Jahrzehnte weist jedoch auf eine wachsende Interdependenz aller Märkte hin, was eine weniger doktrinäre Ausrichtung der Geldpolitik und damit deren Neuformulierung bedingen würde.

 

  • Der zweite Mythos setzt eine expansive Geldpolitik mit wachsender Staatsverschuldung gleich, was wiederum für eine restriktive Geldpolitik zu sprechen scheint. Dieser buchhalterische Tunnelblick ist weit verbreitet, denn er stimmt mit der monetaristischen Orthodoxie überein und verstärkt den ersten Mythos.

 

  • Der dritte Mythos behauptet die wissenschaftliche Fundierung der geldpolitischen Entscheidungen. Obwohl die SNB in der Anwendung der monetaristischen Doktrin meistens pragmatisch vorgegangen ist, lässt sie sich von ihr weiterhin inspirieren. Demgegenüber hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in ihrem Jahresbericht 2015 in aller Klarheit darauf hingewiesen, dass die Finanzkrise 2008 manche vermeintlichen Gewissheiten ins Wanken gebracht hat und eigentlich dazu führen müsste, veränderten Verhaltensmustern und Praktiken des Finanzsektors besser gerecht zu werden. Angesichts der Dominanz der Finanzmärkte muss die Geldpolitik umfassend überdacht werden.

 

  • Der vierte Mythos bekräftigt die Unabhängigkeit der SNB von der Politik. Die Autonomie der Zentralbanken wird generell damit begründet, dass die Notenpresse nicht zur Finanzierung der staatlichen Finanzierung missbraucht werden darf. Die Macht der Zentralbanken, besonders die der europäischen (EZB), hat sich jedoch während der letzten Finanzkrise weit darüber hinaus ausgedehnt. Diese Politisierung hat auch die SNB erreicht: Ihr Entscheid hat einen anti-europäischen Effekt, der an sich schon eine vertiefte politische Debatte des Verhältnisses der Schweiz mit der EU verdienen würde. Diese Debatte darf natürlich nicht ausschliesslich Sache der SNB werden.

 

  • Der fünfte Mythos setzt die Unabhängigkeit und die politische Neutralität der SNB mit der unseres ganzen Landes gleich. Die Entwicklung des Wechselkurses ist jedoch derart stark von den internationalen Kapitalbewegungen abhängig, dass die SNB in ihrer Handlungsfreiheit immer mehr eingeschränkt ist. Wechselkursverschiebungen drücken auch die besorgniserregend wachsenden internationalen Ungleichgewichte zwischen realwirtschaftlichem Austausch und Finanzströmen aus. Nur eine verstärkte internationale Koordination der Geldpolitik kann versuchen, dieses Ungleichgewicht zu korrigieren.

 

  • Schliesslich versucht uns der sechste Mythos glaubhaft zu machen, dass die SNB gar keine andere vernünftige Wahl hatte, als die Anbindung des Frankens an den Euro aufzuheben. Die Kosten dieser Entscheidung seien der Preis, den wir für eine auch in Zukunft starke Volkswirtschaft zu zahlen hätten; die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft würde gestärkt und die Inflationsgefahr auf Dauer gebannt. Es hätte aber durchaus andere Optionen gegeben und gibt sie weiterhin, sei es die Anbindung des Frankens an den Euro bis zu einem Aufschwung der Weltwirtschaft auf breiter Front, die Schaffung eines Staatsfonds oder im Prinzip sogar der Beitritt in die Eurozone.

 

Reformagenda

Indem die SNB gegen den Strom der international wichtigen Notenbanken gehandelt hat, hat sie selbst zur Aufwertung des Frankens beigetragen. Dieser abrupte Entscheid hat beträchtliche Anpassungskosten verursacht; er schwächt das Wirtschaftswachstum und bremst die Börsenentwicklung in der Schweiz. In einem international zunehmend interdependenten Umfeld wird das Festhalten an den skizzierten Mythen zur Gefahr für den Wohlstand unseres Landes.

Es ist jedoch nicht nur Sache der SNB, sondern Aufgabe aller unserer politischen Instanzen, tragfähige Reformen vorzuschlagen. Wo ist anzusetzen?

  • Strategische Neuorientierung: Der Gesetzgeber hat als Hauptziel der SNB die Preisstabilität festgesetzt, bestimmt jedoch auch, dass die Geldpolitik der allgemeinen Wirtschaftslage Rechnung zu tragen hat. Die SNB kann deshalb ihre Politik nicht ausschliesslich mit der Inflationsbekämpfung begründen. Sie muss ihrer Rolle weniger vereinfachend gerecht werden, indem sie vermehrt auf die wachsende Einflussnahme der Finanzmärkte achtet und die Konsequenzen auf die Realwirtschaft berücksichtigt.

 

  • Verbesserte Führung: Das Direktorium der SNB muss pluralistisch zusammengesetzt sein, um die ganze Wirtschaft abzudecken. Nur ein Kollektiv verhindert wirklich ein doktrinäres Abtriften. Seine jetzige Zusammensetzung aus nur drei Mitgliedern ist ein Anachronismus und entspricht nicht internationalen Standards.

 

  • Schaffung eines Staatsfonds: Diese Option ist vertieft zu prüfen. Ihre Vor- und Nachteile müssen genau gegeneinander abgewogen werden. In der Bilanz der SNB Hunderte von Milliarden Franken an Eigenkapital ohne Rendite zu « lagern » ist ökonomisch kaum sinnvoll.

 

  • Neuordnung der Finanzierung von Bund und Kantonen: Der Beitrag der SNB zur Finanzierung des Bundes und der Kantone muss besser geregelt werden, damit er strikt von der Geldpolitik getrennt bleibt. Nur effektive Kapitalerträge sollten dafür berücksichtigt werden, nicht aber sich schnell verändernde Buchgewinne.

 

Auf Mythen zurückzugreifen statt fällige Reformen anzupacken lenkt letztlich von der wirklichen Herausforderung ab: Die Globalisierung verlangt nach verstärkter internationaler Zusammenarbeit anstelle einer nationalen Ausrichtung der Geldpolitik.

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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