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Unendlichkeit des Geldes – Endlichkeit der Natur

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Zur weltweiten Wirtschaftskrise wäre es nicht gekommen, wenn auch in der Finanzbranche nach dem Prinzip der Nachhaltigkeit gearbeitet worden wäre. Dieses Prinzip legt die Anerkennung von Grenzen nahe. Wie die Finanzwirtschaft sich stärker auf die Realwirtschaft ausrichten muss, so muss diese stärker die Tragfähigkeit der Natur berücksichtigen.

Der Umgang mit Knappheit gehört zur Conditio Humana. Als Folge der geplatzten Spekulationsblase mit Hypotheken fehlt der Wirtschaft heute das Kreditvolumen – Kredit heisst Vertrauen! -, das nötig wäre, um die Konjunktur der letzten Jahre aufrechtzuerhalten. Im Sachsen des 16.Jahrhundert drohte aufgrund eines Booms im Bergwerkswesen das Holz knapp zu werden. Entschiedener als die Politik heute, reagierte der Kurfürst damals mit einer Verordnung, worin er seinen Bergwerksbetreibern eine „beharrliche Nutzung“ von Holz vorschrieb – eine Nutzung, die „die Gehölze ertragen können“. – Das ist eine der frühesten historisch dokumentierten Vorschriften über die „beharrliche“, oder wie es anfangs des 18. Jahrhunderts hiess, „nachhaltigen“ Holznutzung. Das Konzept der Nachhaltigkeit stammt aus der deutschen Forstwirtschaft…

Die Ursachen der aktuellen Kreditkrise signalisieren den enormen Abstand zwischen der auf Kurzfristigkeit angelegten Egomanie vieler Wirtschaftsakteure und der Idee der Nachhaltigkeit. – Doch was heisst Nachhaltigkeit genau?

Ins öffentliche Bewusstsein ist dieser Begriff 1987 mit dem Erscheinen des UN-Berichts über Umwelt und Entwicklung (Brundtland-Bericht) getreten. Statt von „nachhaltig“ ist darin oft auch von „dauerhaft“ oder „zukunftsfähig“ die Rede. Die zentrale Botschaft des Berichts lautet: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“ Das Wort „sustainable“ im englischen Original hatte schon 1970 im Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums gestanden – in Anlehnung an die in der internationalen Forstwirtschaft gebräuchliche Wendung „sustained yield“ (auf Dauer angelegter Ertrag).

Seither hat das Konzept der Nachhaltigkeit eine steile Karriere absolviert. Dabei kam es unweigerlich auch zu Pervertierungen, etwa durch den Bankenjargon, wo „nachhaltig“ oft für die Bezeichnung längerfristig gewinnbringender Geldanlagen missbraucht wird. Eine Begriffsklärung kann also nicht schaden.

Nachhaltigkeitskonzepte betrachten in der Natur (bzw. das Ökosystem Erde) als eine Art Ressource, die der Nutzung durch gegenwärtige und künftige Generationen gleichermassen offen stehen soll. Das zugrunde liegende Anliegen ist also anthropozentrisch, es billigt der Natur nur einen instrumentellen, keinen Eigenwert zu. Doch räumt es ihrem Schutz und ihrer Erhaltung (Konservierung) oberste Priorität ein. In der praktischen Auslegung bedeutet dies dreierlei: (1) Erneuerbare oder nachwachsende Ressourcen sollen nur in dem Rhythmus genutzt werden, in dem sie sich regenerieren. (2) Nicht erneuerbare Ressourcen – Mineralien, Metalle, fossile Brennstoffe usw. – sollen nicht schneller abgebaut werden, als man geeignete Substitute bereitstellen kann. (3) Der Ausstoss an Schadstoffen ist auf ein Mass zu begrenzen, das die Absorptionsfähigkeit des gesamten Ökosystems, einschliesslich der Atmosphäre, nicht übersteigt.

Wie man diese Nutzungsregeln am besten anwendet, ist eine Frage, die Anlass zu vielfältiger theoretischen und praktischen Kontroversen bietet: Wo liegen die Kapazitätsgrenzen der Atmosphäre für die Aufnahme von Treibhausgasen genau? Bewegt sich eine um zwei Grad erhöhte Durchschnittstemperatur noch innerhalb dieser Grenzen? Soll man knapp werdende natürliche Ressourcen grundsätzlich durch andere natürliche Ressourcen ersetzen, oder kommen dazu auch synthetische Produkte in Frage? Verlangt Nachhaltigkeit ein Weniger oder ein Mehr an Technologie, und wenn Letzteres gilt, wie soll diese Technologie aussehen?

Auf viele dieser Fragen gibt es inzwischen klare Antworten, auch wenn sich nicht alle angenehm anhören. Eine Temperaturerhöhung um zwei Grad bedeutet eine Systemveränderung, deren Folgen nicht genau voraussehbar sind. Für den Ersatz natürlicher Ressourcen kann man selbstverständlich auch auf synthetische zurückgreifen – Kabel aus Glasfasern ersetzen solche aus Kupfer -, aber das Umsteigen auf Kunstprodukte ist nur begrenzt möglich: Wasser, das knapp wird, kann man nicht mit Plastic kompensieren, den negativen Klimaeffekt durch abgeholzte Tropenwälder nicht mit dem Bau neuer Betonwüsten. Die Technik ist bekanntlich Fluch und Segen zugleich – die heute geforderte Effizienzrevolution wäre jedenfalls ohne Technologieentwicklung undenkbar.

Trotz dieser und ähnlicher Kontroversen bietet die Idee der Nachhaltigkeit eine wesentliche Orientierungshilfe. Die Richtung, die sie anzeigt, ist keineswegs beliebig. Was die Grenzen der Tragfähigkeit unseres Planeten betrifft, so hat keine Generation vor uns jemals auch nur im Entferntesten über so viel und so zuverlässige Informationen verfügt wie die unsere. Auch über das wechselvolle Schicksal früherer Völker in ihrem Kampf um die Erhaltung ihrer Lebensräume sind wir heute besser informiert als alle unsere Vorfahren es waren. Mit diesem Wissen bietet sich uns eine einzigartige Chance.

Die eigentliche Herausforderung liegt anderswo – nämlich in der übermächtigen Versuchung, das Nachhaltigkeitskonzept, das ursprünglich ganz auf den Umgang mit dem Naturhaushalt ausgerichtet war, zu verwässern. Im Brundtland-Bericht wurde dieses Konzept mit der Idee der Entwicklung gekoppelt und um eine wirtschaftliche und eine soziale Dimension erweitert. Soziale Nachhaltigkeit zielt auf Anliegen wie Beseitigung der absoluten Armut, Verbesserung der Grundausbildung und der Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern, Minderheitenschutz, Gleichstellung von Frau und Mann usw. Wirtschaftliche Nachhaltigkeit umfasst Aspekte wie Wirtschaftswachstum, Vermehrung von Beschäftigung und Einkommen, aber auch eine Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Diese Anliegen verdienen zweifellos hohe, zum Teil höchste Priorität: Ein globales Apartheids-System – hier üppige Wohlstandsparadiese, dort trostlose Elendsgürtel – verhöhnt nicht nur unser Gerechtigkeitsempfinden, sondern ist auch extrem fragil. Soziales Elend lässt sich nicht ohne Wirtschaftsentwicklung überwinden, zumal auch die Weltbevölkerung jährlich immer noch um 80 Millionen wächst. Es wäre aber irreführend, wirtschaftliche und soziale Entwicklung generell unter das Stichwort „Nachhaltigkeit“ zu subsumieren.

Entwicklung ist nicht per se nachhaltig – schon gar nicht, wenn sie auf Wachstum ausgerichtet ist. Ein kritischer Blick auf die klassische Ökonomie kann das bestätigen. Diese hat die Frage nach den Quellen wirtschaftlicher Wertschöpfung nie systematisch untersucht. Häufig ist von zwei solchen Quellen die Rede: von Arbeit und Kapital, verstanden als Realkapital (Investitionsgüter, wie Werkzeuge, Maschinen, Gebäude usw.), und die Kapitalbildung wird gewöhnlich mit der Bereitschaft zum Sparen erklärt. Als dritte Quelle wird manchmal das menschliche know how (Wissen, Ausbildung) genannt. Das leuchtet ein – von ihm hängt der technische Fortschritt, z.B. die erhoffte Effizienzrevolution, ab.

Ein vierter Wertsteigerungsfaktor – Natur – ist den ökonomischen Klassikern jedoch entgangen. Adam Smith hat zwar die wohlstandsförderlichen Effekte einer arbeitsteiligen Marktgesellschaft analysiert. Eine solche Gesellschaft benötigt auch mehr Investitionsgüter als eine nicht arbeitsteilige. Smith glaubte, die Bereitstellung solcher Güter verdanke sich primär der Sparsamkeit. Das ist aber nur die halbe Wahrheit, denn Investitionen lassen sich, genau so wie der Konsum, auch über die Neuausgabe von Geld (einst: Gold- und Silberförderung; heute: Beschleunigung der Notenpresse) steigern. Dieser Weg führt freilich nur dann zum Erfolg, statt zur Inflation, wenn parallel zur Geldmenge auch die Realwirtschaft wächst – das heisst, wenn das Volumen geleisteter Arbeit zunimmt und/oder wenn mehr Ressourcen genutzt – wenn neue Böden unter den Pflug genommen, Bewässerungssysteme betrieben, neue Minerallager, Ölfelder, Energiequellen erschlossen, Wälder in Papier verwandelt werden usw. All diese Stichworte verweisen auf den Faktor Natur. Die klassische Nationalökonomie hat diesem Faktor nie die gebührende Beachtung geschenkt – vermutlich weil „Natur“ langezeit unbegrenzt zur Verfügung stand, ihre Nutzung nichts kostete und ihr Schutz kein Thema war. Man betrachtete ihren Beitrag zur Wertschöpfung schlecht als selbstverständlich. Da ausserdem jede Anstrengung zur Steigerung der Wertschöpfung mit Arbeit verbunden ist, wurde der Beitrag, den Böden (einschliesslich Pflanzen und Tiere) und Ressourcen allgemein an die wirtschaftliche Wertschöpfung leisten, systematisch unterschätzt. Locke schrieb in seinem für die Ökonomie bahnbrechenden Second Treatise of Government, „die für das menschliche Leben nützlichen Erzeugnisse der Erde“ seien „zu neun Zehnteln die Auswirkungen der Arbeit“ – wobei er sich sogleich korrigiert: Meistens müsse man sogar „neunundneunzig Hundertstel ganz dem Konto der Arbeit zuschreiben“.

So kam es, dass die klassische Ökonomie den Unterschied zwischen der Endlichkeit der Natur und der Unendlichkeit des Geldes bzw. des Geldkapitals unter den Tisch kehrte. Für diese Unterscheidung hat uns erst der Club of Rome mit seinem Bericht über die Grenzen des Wachstums sensibilisiert. Seit etwa einer Generation wissen wir: Die Fischerei wird eher wegen einer Verknappung der Fische als weil es an Schiffen mangelte, an ihre Grenzen stossen, und die Nutzung fossiler Brennstoffe eher wegen der beschränkten Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für CO2 als wegen fehlender Raffinierien. Auch wenn sich durch Kultivierung des natürlichen Kapitals die Grenzen des Wachstums vielleicht ein Stück weit hinausschieben lassen – gegen die Begrenzung selbst ist kein Kraut gewachsen. Eine Wirtschaft, die diesem Faktum nicht Rechnung trägt, ist nicht nachhaltig.

Wie schwer sich die globalisierte Wirtschaft heute mit Begrenzungen tut, hat die spekulative Aufblähung flüchtiger Finanzblasen eindringlich gezeigt. In der Folge steht sie nun vor der doppelten Aufgabe, die Finanzmärkte in den Dienst der Realwirtschaft zu stellen und die Realwirtschaft auf Nachhaltigkeit auszurichten. Für beides müsste die Politik jetzt endlich die Weichen stellen.

Erschienen in: NZZ, 17.03.2009.

Link zum Artikel NZZ online: http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/unendlichkeit-des-geldes–endlichkeit-der-natur-1.2210839

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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