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Die Finanzmarktkrise verlangt unser Umdenken

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Die Finanzmarktkrise hat auch ihr Gutes. Sie hilft uns, das Verhältnis von Markt und Staat zu klären. Der demokratische Rechtsstaat ist nicht nur Rahmen, sondern auch legitimierende Grundlage der Wirtschaft. Im Fall des Finanzmarktes ist er sogar mehr: Er ist Garant für das Funktionieren unserer Geldwirtschaft. Das ist ein ganz anderes Paradigma für die Aufgabe der Politik gegenüber der Wirtschaft.

Die herrschende Volkswirtschaftslehre behandelt den Finanzmarkt grundsätzlich wie einen gewöhnlichen Markt, in welchem das Gesetz von Angebot und Nachfrage über den Wert von Geld und Kapital bestimmt. Auch juristisch gelten die Banken und Börsen als privatwirtschaftliche Unternehmen, welche sich auf die Wirtschaftsfreiheit berufen können und damit durch ein liberales Grundrecht vor dem Zugriff des Staates geschützt sind.

Die Finanzbranche betreibt aus dieser Sicht eine private Tätigkeit, gleich wie der Bäcker um die Ecke oder der Gastwirt an der Kreuzung: Diese unterstehen einem Lebensmittelinspektorat, weil ihre Tätigkeit die öffentliche Gesundheit gefährden kann und die Konsumenten selbst nicht in der Lage sind, die Gefahren, welche ihnen aus verdorbenen Lebensmitteln erwachsen können, rechtzeitig wahrzunehmen. Bei den Banken geht es letztlich um das Gleiche: Ziel ist der Konsumentenschutz, hier als Anlegerschutz oder als Schutz der Realwirtschaft vor Risiken im Geld- und Kreditmarkt.

Der Finanzmarkt ist freilich kein gewöhnlicher Markt. Er ist eine Infrastruktur der Realwirtschaft, weil er diese nur mit der notwendigen „Energie“ – dem Geld – versorgt, damit sie ihren Motor zum Laufen bringen kann. Der Finanzsektor ist damit einem „Inneren Dienst“ der Wirtschaft vergleichbar, welcher Voraussetzungen schafft, auf denen das Wirtschaften beruht.  Das Geld ist eine Institution, die der Staat der Wirtschaft zur Verfügung stellt, genau so wie er ihr garantiert, dass Strassen, Elektrizität oder Postdienste angeboten werden, damit sie sich entfalten kann. Geld und Kredit gehören zur Infrastruktur, auf welche die Realwirtschaft zählen können muss. Sie dürfen daher nicht dem egoistischen Interessenspiel der Marktteilnehmer überlassen werden, sondern müssen im Gesamtinteresse der Allgemeinheit nach Grundsätzen der Solidarität und Fairness dem Markt vorgegeben werden. Sie sind Teil der übergeordneten Ordnungspolitik, nicht der Interessenpolitik. Sie gehören zu den Spielregeln, nicht zum Spiel des Marktes.

Der Finanzmarkt ist damit ein Service Public, welcher öffentliche Interessen wahrzunehmen hat. Er ist sogar Bestandteil unseres Ordre Public, d.h. der fundamentalen Rahmenordnung, welche Staat und Recht nach den Grundsätzen einer liberalen und zugleich gerechten Ordnung des Zusammenlebens dem Markt vorgeben.

Gefordert ist damit ein Paradigmenwechsel im Verhältnis von Staat und Markt, soweit es um den Finanzmarkt geht. Die künftige Finanzmarktverfassung darf nicht mehr vom alten Paradigma eines privaten Marktes ausgehen, der bloss einer polizeilichen Regulierung untersteht. Sie muss zum Paradigma der Staatsverantwortung wechseln, welche so weit wie möglich mit privaten Mitteln wahrgenommen werden soll. Die Banken würden durch einen solchen ordnungspolitischen Wechsel zu Beauftragten des Staates und wären an die Wahrung des öffentlichen Interesses gebunden. Erst dann könnten wir volkswirtschaftlich schädliche Geschäfte wie Wetten gegen eine Währung oder gegen Nahrungsmittel verbieten. Die Banklizenz für den Zahlungsverkehr und das Kreditgeschäft würde nur noch Banken erteilt, welche sich in den Dienst der Realwirtschaft stellen. Das Investment-Banking müsste ausgegliedert werden; eine Transaktionssteuer könnte den Rhythmus von Spekulativgeschäften an der Börse verlangsamen. Der Finanzmarkt könnte auf die Bedürfnisse der Realwirtschaft reduziert werden.

Wie weit die Schweiz allein oder Europa ohne den Rest der Welt solche Reformen umsetzen könnte, ist umstritten. Sicher aber ist, dass sich die Krise des Kapitalismus, in der wir stecken, nur bewältigen lässt, wenn wir umdenken. Der Primat der Politik über die Wirtschaft und der Wirtschaft über den Finanzmarkt muss wieder hergestellt werden. Das geht nicht, solange die Geldordnung diese Prioritätenordnung auf den Kopf stellt.

Dieser Text ist erstmals erschienen als Kolumne am 28. 9. 2012 in der Neuen Luzerner Zeitung.

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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