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Die Volkswahl des Bundesrates – eine falsche Blitzidee

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Von Kontrapunkt* vom 18. Februar 2013

Ihr Vorschlag, den Bundesrat durch das Volk wählen zu lassen, schliesse eine Lücke in der schweizerischen Demokratie, behauptet die Schweizerische Volkspartei (SVP). Tatsächlich würde diese Reform aber ein gravierendes Machtungleichgewicht einführen und damit die Konkordanzdemokratie gefährden – einen Regierungsgrundsatz, der das Funktionieren der Institutionen seit mehr als anderthalb Jahrhunderten gewährleistet.

Die SVP argumentiert, in einer direkten Demokratie, die diese Bezeichnung verdient, könne die Beteiligung des Volkes nicht auf die Sachabstimmungen (Initiativen, Referenden) beschränkt sein. Der Souverän müsse auch seine Regierung wählen können. Schliesslich habe sich dieses Verfahren schon auf Kantons- und Gemeindeebene bewährt. Die demokratische Legitimität des Bundesrats würde gestärkt. Seine Wahl durch das Volk würde eine bessere Transparenz der Auswahl garantieren und die Kandidatur markanter Persönlichkeiten fördern, anders als die Intrigen und Kuhhändel, die für die Wahl durch das Parlament typisch sind. Die SVP sieht ihren Vorschlag als Gegenfeuer gegen die jetzigen Tendenzen, die, so sagt sie, darauf hinauslaufen, die direkte Demokratie einzuschränken (Ausweitung der Gründe für die Ungültigerklärung und vorgängige inhaltliche Prüfung der Volksinitiativen, Einführung der Verfassungsgerichtsbarkeit).

Die Logik und das Ziel dieses Vorschlags – die Volksbeteiligung zu verstärken – können auf den ersten Blick verführerisch wirken. Aber sie bestehen eine vertiefte Analyse nicht.

Ein durch das Volk gewählter Bundesrat hätte gegenüber dem Parlament eine stärkere Position; dieses hat aber jetzt schon Mühe, sich gegenüber der Exekutive und ihrer Verwaltung zu behaupten. In dieser Hinsicht – und entgegen dem, was die SVP behauptet – spricht das Beispiel der Kantone und Gemeinden nicht für, sondern gegen diesen Wahlmodus: Hier ist das Ungleichgewicht der Kräfte zwischen schwachen Parlamenten und starken Exekutiven augenfällig und erschwert die Erfüllung einer der zentralen Funktionen der Parlamente, nämlich die Kontrolle der Exekutive.

Aber das Gravierendste kommt erst noch. Die Vielfalt des Landes hat sehr früh – seit der Geburt des Bundesstaats – zu einer subtilen Suche nach dem Gleichgewicht in Regierungsangelegenheiten geführt. Verschiedene politische Strömungen sind an der Ausübung der Exekutivgewalt beteiligt worden, um dieses Kollegium in die Lage zu versetzen, Kompromisslösungen auszuarbeiten, die es ermöglichen, Mehrheiten in Parlament und Volk zu finden. Gewählt wurden jeweils nur Vertreter von Parteien, die einen minimalen Konsens akzeptierten – die Anerkennung des föderalen Staates im 19. Jahrhundert, dann die Trennung von Kirche und Staat sowie die Notwendigkeit einer nationalen Verteidigung, schliesslich den Rechtsstaat. Das Parlament hat beständig seine Wahlfreiheit gegenüber den offiziellen Parteikandidaturen bewiesen. Die Auswahl, die es trifft, und das Gleichgewicht, das es in der Zusammensetzung des Bundesrats zu gewährleisten sucht, sind notwendige Bedingungen des kollegialen Funktionierens der Regierung. Die Volkswahl der Exekutive würde demgegenüber die Herrschaft der Parteien über die Kandidaturen verstärken. Vergessen wir nicht, dass die SVP nach der Nichtwiederwahl von Christoph Blocher in ihren Statuten festschrieb, dass jegliches Parteimitglied, das von der Bundesversammlung gewählt wird, ohne von der Parlamentsfraktion der Partei vorgeschlagen worden zu sein, automatisch ausgeschlossen wird. Um ihre Wiederwahl zu sichern, wären die Regierungsmitglieder versucht, auf Kosten der kollegialen Machtausübung durch die Regierung ihr persönliches Image in der öffentlichen Meinung zu pflegen. Die Mediatisierung des politischen Lebens würde dadurch weiter verstärkt, und mit ihr die Rolle des Geldes in den Wahlkampagnen. Kurz, diese Reform wäre eine Gefahr für die Konkordanzdemokratie.

Die Volkswahl des Bundesrates stelle die Krönung der direkten Demokratie dar, das fehlende Glied der Volksherrschaft, versichern die Initianten. Diese Sichtweise verkennt das eigentliche Wesen der direkten Demokratie, nämlich dass der Souverän die Regeln, nach denen regiert wird, selbst bestimmt. Dem gegenüber erlauben Wahlen dem Volk, seine Vertreter zu bestimmen. Ob direkt oder indirekt, Wahlen gehören zur repräsentativen und nicht zur direkten Demokratie.

Die Geschichte zeigt im Übrigen klar, dass die Volkswahl des Bundesrates nichts mit der direkten Demokratie zu tun hat. Alle Versuche, diese Kompetenz dem Volk zu übertragen, kamen von Parteien oder Bevölkerungskreisen, die von der Regierung ausgeschlossen waren oder sich darin schlecht oder ungenügend vertreten fühlten: 1900 waren es die Sozialisten und die Konservativen, 1940 erneut die Sozialisten. Diese beiden Versuche scheiterten massiv in der Volksabstimmung. 1966 erwog ein Komitee aus Vertretern von Kleinparteien, erneut eine Initiative zu lancieren. 1984 waren es Feministinnen und linke Kreise, die nach dem Misserfolg von Lilian Uchtenhagen als offizieller Kandidatin der SP die Idee der Volkswahl lancieren wollten. Die kürzliche Initiative der SVP wird von denselben Beweggründen getrieben. Seit dem Ende des letzten Jahrhunderts droht diese Partei mit der Initiative für die Volkswahl des Bundesrates als Reaktion darauf, dass das Parlament aus ihrer Mitte Regierungsmitglieder auswählt, die nicht ihren offiziellen Wünschen entsprechen. Diese Drohung wurde 2003 bei der Wahl des offiziellen Kandidaten Christoph Blocher suspendiert und 2007 nach seiner Nichtwiederwahl reaktiviert.

Hinter dem Argument der demokratischen Legitimität des Bundesrates verstecken sich also viel prosaischere Motive. Unabhängig davon droht dieses Verlangen, zu einem institutionellen Machtungleichgewicht und zur Erosion der Konkordanz zu führen. Diese Folgen würden schwer auf der demokratischen Qualität unserer Institutionen lasten.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
contrepoint, Conseil de politique économique et sociale, a été constitué à l’initiative du « Réseau pour la responsabilité sociale dans l’économie». Le Conseil comprend actuellement 22 membres et s’est donné pour tâche d’approfondir le débat public, trop souvent polarisé et superficiel, par des contributions qui prennent en compte les connaissances scientifiques actuelles et mettent en évidence des aspects négligés des problèmes débattus. Ont contresigné ce texte les membres suivants de contrepoint: Gabriella Bardin Arigoni, politologue, Gy; Prof. emer. Dr. Beat Burgenmeier, économiste, Université de Genève; Prof. Dr. Marc Chesney, Université de Zurich; Dr. Peter Hablützel, Hablützel Consulting, Berne; Dr. iur. Gret Haller, Berne; Prof. emer. Dr. René Levy, sociologue, Université de Lausanne; Prof. emer. Dr. Philippe Mastronardi, spécialiste en droit public, Université de St. Gall; Prof. emer. Dr. Beat Sitter-Liver, philosophie pratique, jusqu’à 2006 Université de Fribourg (Suisse); Prof. emer. Peter Ulrich, spécialiste en éco-éthique, Université de St. Gall; Prof. emer. Mario von Cranach, psychologue, Université de Berne; Prof. emer. Karl Weber, sociologue, Université de Berne; Daniel Wiener, MAS Arts Management, Bâle; Liliana Winkelmann, M.A., Zurich.

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