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„Wie weiter mit der schweizerischen Klimapolitik?“

Autorin/Autor:
Von Kontrapunkt* vom 1. November 2007

Im Vorfeld der eidgenössischen Wahlen haben die Bundesräte Leuenberger und Leuthard ihre zum Teil unterschiedlichen Vorstellungen zur schweizerischen Klimapolitik in die Öffentlichkeit getragen. Der Bundesrat hat auch in diesem Bereich Mühe, mit einer Stimme zu sprechen. Beide sind sich jedoch einig, in Zukunft vermehrt auf marktwirtschaftliche Instrumente zu setzen. Der eine will dies über Steuern erreichen, die andere eher mit dem internationalen Zertifikatshandel. Anstatt weiterhin mit einer Verdichtung von Vorschriften und neuen Normen eher reaktiv auf den Klimawandel zu antworten, kommt bei beiden eine vorwärts gerichtete Strategie zum Tragen, die dem einzelnen einen individuellen Entscheidungsfreiraum bietet. Mit welchen Mitteln er sich umweltgerecht verhalten will, bleibt dem einzelnen überlassen. Wichtig ist nur, dass die richtigen Anreize dazu gesetzt werden. CO2 Steuer und Emissionszertifikatshandel gehen beide in diese Richtung.

Ein Instrument allein kann ohnehin der komplexen Umweltproblematik nicht gerecht werden. Es geht deshalb darum, wie ein optimaler Instrumenten-Mix bestimmt und konkret umgesetzt werden kann. Die Gewichtung der verschiedenen Instrumente ist jedoch Sache der Politik, die eigentlich immer zwischen verschiedenen Einzel- und Gesamtinteressen abzuwägen hat. Jedes Instrument hat seine Vor- und Nachteile und es ist schwierig, eine Klimapolitik so zu gestalten, dass alle Interessen gleichermassen berücksichtigt werden.

Hinter dieser politischen Gewichtung der Instrumente stehen jedoch zwei unterschiedliche Ansätze der Umweltpolitik, die es durchaus verdienen würden, etwas transparenter in den politischen Diskurs eingebracht zu werden. Die Steuerlösung will Pflichten durchsetzen, der Zertifikatshandel will neue Nützlichkeiten schaffen.

Der eine Ansatz betrachtet die Umwelt als öffentliches Gut, das allen zur Verfügung steht. Der andere interpretiert die Umwelt als ein gewöhnliches Gut, an welchem die Eigentumsrechte nicht geklärt sind. Der erste Ansatz versucht, ein offensichtliches Marktversagen mit einer Steuer nach dem Verursacherprinzip zu beheben. Der zweite versucht, Eigentumsrechte zu definieren, um neue Märkte zu schaffen. Die Absicht ist die gleiche, nämlich das Funktionieren von Märkten für den Umweltschutz dienstbar zu machen, aber die moralischen Grundlagen sind nicht die gleichen. Die Steuerlösung geht von unseren Pflichten gegenüber der Um- und Nachwelt aus und will diese durchsetzen, indem sie den marktwirtschaftlichen Nutzen umweltwidrigen Verhaltens eingeschränkt. Der Zertifikatshandel will das ökonomische Nützlichkeitsdenken auf Fragen der Um- und Nachwelt ausdehnen. Die Konsequenzen sind ebenfalls nicht identisch. Bei den Steuern kann man den Preiseffekt besser abschätzen, bei den Zertifikaten eher den Mengeneffekt. Die Preisgestaltung bleibt im zweiten Fall ungewiss und bei den heute gehandelten Papieren sicher zu tief, um einen echten Anreiz zur Senkung von CO2 Emissionen zu schaffen. In beiden Fällen wissen wir nur, wie wir wirtschaftliche Effizienzkriterien messen, jedoch nicht, wie genau sie mit ökologischen verglichen werden können.

Pikanterweise kann noch darauf hingewiesen werden, dass der Handel mit Emissionszertifikaten nur auf Drängen der USA im Kyoto-Protokoll aufgenommen wurde. Als Gegenleistung versprachen die Amerikaner damals, das Protokoll zu ratifizieren, was bekanntlich dann nicht eintraf. Es ging deshalb weniger um die Sache, als um immer noch zu klärende Machtverhältnisse.

Wenn die EU dieses Instrument nun auch anwendet, kann der Verdacht aufkommen, dass sie es weniger zum Klimaschutz als zur Stärkung der Idee eines gemeinsamen Marktes benutzt. Ähnliche Verdachtsmomente gibt es auch im schweizerischen Interessenspektrum. Hinter dem Vorwand einer patriotischen Abschottung kann es in erster Linie darum gehen, den Staat durch weniger Steuern zurückzubinden. Ohne grössere Auflagen lässt sich schliesslich einfacher geschäften. Einer CO2 Steuer kommt deshalb beinahe die Rolle eines trojanischen Pferdes zu, das diese „Weniger-Steuern“-Ideologie unterläuft. Die amerikanische neokonservative Revolution hat auch in diesem Bereich die Schweiz wie üblich zeitverschoben erreicht.

Beide Ansätze sind der Kritik ausgesetzt. Warum soll die Umwelt überhaupt als „Gut“ verstanden werden, dessen Wert durch die Märkte bestimmt wird? Ob dieses „Gut“ durch Behebung von Versagen bestehender Märkte im Land oder durch die Schaffung von neuen im Ausland geschützt wird, spielt dann keine grosse Rolle. Für diese Sichtweise ist die Umwelt kein ökonomisches Gut, sondern in erster Linie ein Prozess, den wir erst besser verstehen lernen müssen. Erst wenn wir Bescheid wissen, wie soziale und ökologische Systeme funktionieren, können wir abschätzen, wie weit sie durch die Ökonomie belastbar sind.

Die Politik ist jedoch heute kaum bereit, die sich daraus ergebenden Fragestellungen grundlegender anzugehen. Anstatt auf die Natur eine Marktlogik zu projizieren, wäre es logischer, ihr Verhältnis zur Gesellschaft besser zu verstehen. Die Anforderungen und Gesetze der Umwelt sollten sicher auch im Markt wirksam werden, aber es ist nicht der Markt, sondern das Verhältnis unserer Gesellschaft zur Umwelt, die in Zukunft als Referenzgrösse dient. Aus dieser Sicht würden wir viel konsequenter das Vorsichtsprinzip anwenden. Da wir es schliesslich mit wachsenden gesellschaftlichen Risiken zu tun haben, ist Versicherer in letzter Instanz der Bürger und nicht der Markt.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:

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