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Streeck-Analyse – konzeptuell und empirisch zu eng

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Sehr stringente Makroanalyse politökonomischer Obedienz, die mich vielleicht gerade wegen ihrer ausgeprägten konzeptuellen Geschlossenheit nicht völlig überzeugt. Ihre wichtigsten Grenzen sind wohl vor allem im gewählten Analyseschema begründet, z.T. aber auch in diskutierbaren empirischen Einschätzungen. Wichtige Elemente des Wandels in den vergangenen Jahrzehnten (seit den 30 glorieuses) scheinen mir vernachlässigt, wie etwa der gezielt orchestrierte (und nicht einfach „geschehene“) Uebergang zur Maximierung der Shareholder Value (inkl. missionarischer Einsatz der Chicago Boys, gezielte paradigmatische Verbreitung von rational-choice-Ansätzen in Wissenschaft und Politik, Powell-Memo, usw.), auch die ideologischen und machtpolitischen Auswirkungen des Zusammenbruchs der geopolitischen Bipolarität nach der Implosion der Sowjetunion. Gewisse terminologische Gags wie etwa die Gegenüberstellung von Markt- und Staatsvolk sind der klaren Analyse kaum zuträglich, aber nicht tragende Elemente und insofern verzichtbar.

Richtig diagnostiziert erscheint etwa die Auseinanderentwicklung von Demokratie und Kapitalismus im Rahmen der Formierung des international verankerten (aber nicht unbedingt wirklich regulierten) Neoliberalismus. Auch die Lokalisierung des Anstosses zu dieser Entwicklung in den USA dürfte zutreffen.

Ob etwa die behauptete „Ablösung der Staatsverschuldung durch Privatverschuldung“ wirklich erfolgt ist, scheint mir angesichts der inzwischen explodierenden Staatsschuldenkrisen zumindest in der Formulierung fragwürdig (es handelt sich wohl eher um eine Kumulation), und ist sicher auch empirisch je nach Land sehr verschieden weit gediehen (extrem weit in den USA, eher wenig in der Schweiz).

Die allfällige Relevanz für die Schweiz scheint mir nicht in der Analyse selbst zu liegen, die auf die Schweiz stellenweise nicht zutrifft (Beispiel: sie hat nicht, wie viele andere hochentwickelte Staaten, „auf eine inflationäre Geldpolitik“ gesetzt). Sie liegt vielmehr potentiel in der Erhellung ihres internationalen Umfeldes und seiner Dynamik.

Die Beobachtung der vorwiegenden fiskalischen Konsolidierungsstrategie – nach zurückgefahrenen Einnahmen – durch einseitige Ausgabenreduktion, besonders, aber nicht nur bei den Sozialausgaben, trifft zweifellos zu und wird bisher viel zu wenig thematisiert. Auch die Interpretation eines langdauernden, teils offenen, teil latenten Machtkampfes zwischen Staaten und privat-globalen Wirtschaftsakteuren erscheint als richtig, wird aber durch das schwer verständliche Postulat des Rückbaus multinationaler politischer Akteure wieder unterlaufen.

Gerade im Blick auf die Schweiz erscheint dieser Vorschlag eines Rückbaus der Eurozone zu einem nationalstaatlichen Aggregat völlig unrealistisch. Die Schweiz ist stärker als grössere Länder ein flagranter Anschauungsfall für das seit 20-30 immer stärker zunehmende Auseinanderfallen der politischen Macht- oder Kontrollmöglichkeiten, die ans nationale Territorium gebunden sind, und der ursprünglich ökonomischen, aber davon abgeleitet auch politischen Macht- und Kontrollmöglichkeit multinationaler Unternehmung und ihrer Verbundsysteme (wie etwa dem globalen Finanzhandelsnetz), die geographisch völlig mobil und in wichtigen Hinsichten überhaupt nicht mehr gebunden sind. Staatenbünde mit wachsender internationaler Reichweite erscheinen als wesentlich realistischere Gegenstrategie in Richtung auch nur einer Art von Gleichgewicht als deren Demontage. Wichtig ist nicht Rückbau, sondern einerseits demokratische Konsolidierung und andererseits Erhöhung der Steuerungskapazität solcher Verbünde.

23. Januar 2014

Eine Übersicht der Beiträge zu Wolfgang Streecks’s Studie „Die gekaufte Zeit – Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus“ finden Sie hier.

Individuelle Texte sind nicht durch das Diskursverfahren von kontrapunkt gelaufen.

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