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Mehr Wirtschaftswachstum: eine Glaubensfrage

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Von Kontrapunkt* vom 6. Oktober 2008

Ein Kommentar zum Wachstumsbericht 2008 des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco)

Dass Wachstum durch nachhaltige Entwicklung ersetzt werden sollte, ist eigentlich nicht nur in Gelehrtenstuben bekannt. Nachhaltige Entwicklung ist in der Schweiz seit 1992 Verfassungsnorm. Beim Staatssekretariat für Wirtschaft ist jedoch diese Erkenntnis noch nicht angekommen. Es glaubt noch an Lösungen mit mehr vom Gleichen.

Sein Wachstumsbericht 2008 liest sich denn auch wie eine neoliberale Gebetsmühle. Er bringt deshalb kaum etwas neues, sondern wiederholt, was schon bei seinem Vorgänger aus dem Jahre 2002 zu lesen wäre. Die Wiederholung macht die Argumentation freilich nicht richtiger. Die Schweiz, so das Seco, habe ein Problem mit der Globalisierung, der Überalterung, den Staatsausgaben und dem schwachen Wachstum. Die Lösung liege in mehr Wachstum dank mehr Markt und weniger Staat, der dabei offenbar zum Glauben an den Markt bekehrt werden soll. Zentral sind ihm drei Glaubenssätze:

Glaubenssatz Nummer eins:

Die Schweiz kann ihre Wirtschaft mit einer aktiven Wachstumspolitik positiv beeinflussen. Dazu braucht es vor allem einmal ein Staatsekretariat, welche diese Politik auch steuern kann. Das Staatssekretariat für Wirtschaft zeigt mit seinem Wachstumsbericht, welche Kompetenzen es beansprucht. Es verfällt dabei in einen Machbarkeitsglauben, da es vergisst zu betonen, dass vor allem die internationale Konjunktur unser Wirtschaftswachstum bestimmt. Vergessen sind auch die Zeiten, als das Parlament widerwillig einer staatlichen und bescheidenen Konjunkturbeobachtung zustimmte, wohl wissend, dass eine aktive Wachstumspolitik eigentlich mit unserer Wirtschaftsordnung nicht vereinbar ist. Für Wachstum sind die einzelnen wirtschaftlichen Akteure, und nicht der Staat, zuständig. Das Seco will uns jedoch glauben machen, dass die Regierung mit einem nicht endend wollenden Massnahmenkatalog für „mehr Markt“ die Wirtschaft viel besser steuern kann, obwohl diese Massnahmen zum Teil Züge einer verpönten Strukturpolitik tragen. Innovations-, Regional-, Bildungs-, Klein- und Mittelbetriebs-, Sozial-, Demographie- Politik und weitere staatliche Programme sollen nun plötzlich jedoch nicht als Strukturpolitik gelten, sondern liberal konforme Rahmenbedingungen darstellen. Sie haben sich alle zu Themen einer aktiven Wachstumspolitik gemausert. Damit sind komplizierte und vernetzte Tummelfelder für die Wachstumsfitness entstanden, die wiederum koordiniert werden müssen. Dem Bund entstehen dabei neue Aufgaben, auch zu Lasten der Kantone. Die neoliberale Gebetsmühle dreht sich um die eigene Achse. „Weniger Staat, mehr Markt“ führt zu einer Zunahme der Regulierungsdichte.

Glaubenssatz Nummer zwei:

Eine Antwort für alles: Mehr ist besser als weniger. Auf die Verteilung des Wachstums komme es nicht an. Da kommt die immer im Brustton ausgedrückte Überzeugung zum Ausdruck, dass zuerst einmal erarbeitet werden muss, was verteilt werden kann. Diese Überzeugung ist an sich nicht falsch, aber ungenügend. Das zwanzigste Jahrhundert war geprägt von Verteilungskämpfen und es ging immer um die Verteilung der Produktionsgewinne. Je gerechter diese Verteilung wahrgenommen wird, desto motivierender wirkt sie für das Wirtschaftswachstum. Die Verteilung ist also nicht nur Konsequenz sondern auch Vorbedingung unseres Wirtschaftens. Dass alles nicht mehr mit (ge-) rechten Dingen zugeht, ist heute nicht nur hinter vorgehaltener Hand zu vernehmen. Obwohl die Schweiz noch nie so wohlhabend war, nehmen Arbeitskonflikte in der Metall-, Bau- und Schienenindustrie in erstaunlichem Ausmass zu. Daran ist nicht nur die Globalisierung schuld, sondern auch das Abhandenkommen von Loyalität einiger Arbeitsgeber gegenüber den Arbeitsnehmern. Das wachsende Unverständnis gegenüber unserem Gesellschaftsvertrag, nach welchem die Pflichten und Rechte möglichst gleich unter uns verteilt werden sollten, trägt ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Man kann vieles mit Produktionsgewinnen anstellen: Kader- und andere Löhne gleich oder ungleich erhöhen, Arbeitszeiten verkürzen, Kinderkrippen einrichten, Sozialversicherungen trotz alternder Bevölkerung finanzieren oder Dividenden erhöhen. Immer geht es dabei aber um die Frage einer gerechten Verteilung des Wachstums. Sich zu dieser Frage auszuschweigen, ist nicht vertretbar. Der Wachstumsbericht tut es dennoch.

Glaubenssatz Nummer drei:

Wachstum löst unsere Umweltprobleme. Der technische Fortschritt wird es schon richten. Die Forschungs- und Bildungspolitik wird zur Speerspitze der Wachstumspolitik. Kulturelle Bildungsideale bleiben auf der Strecke und sind etwas für nostalgische Romantiker. Unsere Wissensgesellschaft braucht nun effiziente Realisten. Forschung muss rentieren. Tut sie das aber im Bereich Umwelt? Noch nicht, ist man geneigt festzustellen. Umweltschutz verursacht zunächst zusätzliche Kosten. Deshalb wird ihm vorgeworfen, er sei wachstumshemmend. So lange der private Nutzen der Umweltforschung kleiner ist als der soziale, wird der privat gesteuerte technische Fortschritt daher nicht automatisch Umweltanliegen fördern. Es braucht dazu eine aktive Umweltpolitik, damit Umweltschutz nicht mit mehr Kosten sondern mit neuen Chancen und Innovation gleichgesetzt wird. Eine Wachstumspolitik macht deshalb nur Sinn, wenn sie umweltverträglich ist. Darüber steht im Wachstumsbericht 2008 nichts, obwohl das Seco gerne von nachhaltigem Wachstum spricht, was ein Widerspruch an sich ist. Nicht unser Wachstum, sondern unsere Entwicklung muss nachhaltig sein.

Der Unterschied zwischen nachhaltigem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung ist einfach. Diese betrifft die soziale Dimension unseres Wirtschaftens (Glaubenssatz Nummer zwei) und zwar nicht nur auf lokaler und nationaler Ebene, sondern vor allem international. Das letzte Scheitern der Doha-Runde hat sicher auch damit zu tun, dass sie sich am Wachstum und nicht an nachhaltiger Entwicklung orientiert. Nachhaltige Entwicklung verbindet miteinander die drei Dimensionen: Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft und sondert keine aus. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass eine Umweltpolitik nur erfolgreich sein kann, wenn sie dazu beiträgt, die all zu krassen sozialen Unterschiede zu verringern. Der Wachstumsbericht will jedoch nur mehr Wachstum (Glaubenssatz Nummer eins). Wie heisst es aber doch so schön: Nur Ökonomie ist keine Ökonomie. Unsere Wirtschaft ist zu wichtig, als dass man sie dem Wachstumsglauben des Seco überlassen kann.

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:

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