Print Friendly, PDF & Email

Stärkung der Stabilität im Finanzsektor: Too Big to Fail

Autorinnen/Autoren: , und
Von Kontrapunkt* vom 1. Mai 2011

Änderung des Bankengesetzes (Botschaft vom 20. April 2011)

Mit Botschaft vom 20. April 2011 beantragt der Bundesrat einige Änderungen des Bankengesetzes, die eine Stärkung der Stabilität im schweizerischen Finanzsektor zur Folge haben sollen. Er kommt damit seinem Versprechen nach, das Too-big-to-fail-Problem unserer zwei Grossbanken rasch anzugehen. Wir wollen im Folgenden diesen Vorschlag würdigen (I), präsentieren dann einige Verbesserungsvorschläge zuhanden der parlamentarischen Beratung (II) und empfehlen die Prüfung eines Trennbankensystems als mittelfristig mögliche Alternative (III).

I    Würdigung

In der Finanzmarktkrise 2008 hat sich die Too-big-to-fail-Problematik als besonders brisant erwiesen. Sie betrifft vor allem auch die Schweiz mit ihren zwei Grossbanken. Kein vergleichbares Land hat eine so hochkonzentrierte, überdimensionierte und so stark mit dem Ausland verflochtene Finanzindustrie. Nachdem der Bundesrat mehr als ein Jahr verstreichen liess, bis er einen entsprechenden Auftrag erteilte, hat die Expertenkommission Siegenthaler rasch gute Arbeit geleistet und eine Lösung des Problems vorgeschlagen, der die Wirtschaft und zunächst sogar beide Grossbanken zustimmen konnten. Finanzdepartement und Bundesrat haben mit beachtlichem Tempo eine Vernehmlassung durchgeführt und eine entsprechende Botschaft zur Ergänzung des Bankengesetzes vorgelegt. So wird es möglich, das Problem noch in dieser Legislatur gezielt anzugehen. Wenn wir den Krisenzyklus auf den modernen Finanzmärkten mit in Betracht ziehen, ist rasches Handeln angezeigt. Insbesondere sollten die Grossbanken ohne Verzug ihre Eigenmittel massiv aufstocken.

II    Verbesserungsvorschläge

Wir möchten den in der Expertenkommission Siegenthaler erarbeiteten Kompromiss nicht gefährden, präsentieren aber fünf Vorschläge, die die Stabilität im Finanzsektor noch verbessern könnten:

– ein Hinweis auf die besonderen Risiken der TBTF-Probleme für die kleine Schweiz

– eine gesetzliche Verankerung der (nicht manipulierbaren) Leverage Ratio

– eine Pflicht zur Veröffentlichung der Auflagen für systemrelevante Banken

– eine gesetzliche Kompetenz des Bundesrates zur Beschränkung des Eigenhandels

– eine Pflicht zur Emittierung der CoCos nach schweizerischem Recht

II/1  Besondere Risiken für die Schweiz

Art. 9

1 Systemrelevante Banken … der betreffenden Bank und nach den besonderen Risiken des Finanzmarktes für die schweizerische Volkswirtschaft. Sie …

Begründung

Mit dieser Ergänzung soll darauf hingewiesen werden, dass sich aus der TBTF-Problematik spezielle Risiken gerade für die Schweiz ergeben. Der hohe Anteil der Finanzwirtschaft am BSP, ihr weit fortgeschrittener Konzentrationsprozess und ihre starke Auslandverflechtung machen eine härtere Regulierung nötig als in anderen Ländern.

II/2  Leverage Ratio

Art. 9

2 Systemrelevante Banken müssen insbesondere:

a.   über Eigenmittel verfügen, die namentlich:

5.    Die Eigenmittel dürfen zu keinem Zeitpunkt fünf Prozent der gesamten nicht risikogewichteten Aktiven unterschreiten

Begründung

Dass der Bundesrat in seiner Botschaft schreiben kann, die Krise 2008 habe „ … die UBS trotz ihrer über dem internationalen Durchschnitt liegenden Kapitalisierung getroffen“ (S. 10), macht uns unsicher, ob er wirklich die richtigen Lehren aus der Krise gezogen hat. Von überdurchschnittlich kapitalisiert darf jedenfalls in Bezug auf die UBS nicht die Rede sein; ganz im Gegenteil. Die EBK hatte im Sommer 2004 in grosszügigster Auslegung der Basler Empfehlungen und trotz massiver Vorhaltungen seitens der SNB neue Risikomodelle und Berechnungen der UBS abgesegnet, so dass sich die Grossbank für ihre riskanten Geschäfte auf dem amerikanischen Markt noch stärker verschulden konnte und mit der weltweit tiefsten Eigenmittelquote von 1,8 Prozent in die Finanzmarktkrise schlitterte; keine amerikanische Bank hatte eine Quote unter zwei Prozent. Aber die Geschichtsklitterung bezüglich Kapitalisierung hat System: „Diese Bewilligung ist auch  rückblickend vertretbar“, behauptete die FINMA noch in ihrem Bericht vom 14. September 2009 zu „Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht“ (S. 31), nachdem das EFD mit seinem Bericht an die WAK NR vom 11. September 2009 zu „Situation und Perspektiven des Finanzplatzes Schweiz“ den Gipfel der Verharmlosung bereits erklommen hatte; es sprach sogar von einer „guten Kapitalisierung (der UBS) zu Beginn der Krise“ (S. 22), ohne sich aber um eine einleuchtende Erklärung zu bemühen, warum die UBS von der Krise doch dermassen stark betroffen wurde. Eine ausreichend kapitalisierte Bank hätte wohl keine Staatshilfe beanspruchen müssen.

Wie will man aus Fehlern lernen, wenn man sie nicht eingesteht? Die Krise hat uns gelehrt, wie unsicher die Risikoberechnungen nach Basel II (und wohl auch nach Basel III) sind. Und im konkreten Krisenfall, wenn Verluste tatsächlich eintreffen sollten, zählt die reale Verschuldung und nicht die Wahrscheinlichkeit, mit der das Risiko hätte eintreffen dürfen. Deshalb ist die Leverage Ratio als Mass für die Kapitalisierung einer Bank von grösster Bedeutung, also der Verschuldungsgrad bezogen auf die gesamte Bilanz und nicht nur die Eigenmittel in Bezug auf die risikogewichteten Aktiven.

Um Bundesrat, EFD und FINMA auf diesen wichtigen Perspektivenwechsel zu verpflichten, sollte der maximal zulässige Verschuldungsgrad für systemrelevante Banken im Gesetz festgeschrieben werden. Wir gehen von der Berechnung aus, dass die beiden Grossbanken mit je 400 Mrd SFR risikogewichteter Aktiven nach Basel III etwa 76 Mrd SFR Eigenmittel halten müssten. Ihre Gesamtbilanz beläuft sich auf je 1500 Mrd SFR; fünf Prozent davon wären 75 Mrd SFR, also knapp unter der entsprechenden Summe aus der risikogewichteten Berechnung. Diese fünf Prozent sind im Vergleich zur Zeit bis in die 1990er Jahre und im Vergleich zu anderen Banken immer noch sehr bescheiden; sie dürften zu keinem Zeitpunkt unterschritten werden. In konjunkturell guten Zeiten wären sogar 7 bis 10 Prozent anzustreben.

II/3  Veröffentlichung der Auflagen für systemrelevante Banken

Art. 10

1 Die FINMA legt … durch Verfügung die besonderen Anforderungen … fest, welche die systemrelevante Bank erfüllen muss. Sie orientiert die Öffentlichkeit über den Inhalt und die Einhaltung der Verfügung.

Begründung

Vom Inhalt dieser Verfügung ist nicht nur die Bank, sondern letztlich auch der Steuerzahler betroffen. Er hat ein Anrecht auf Information. Zumindest über den Verschuldungsgrad der beiden Grossbanken sollte jährlich berichtet werden. Ein Rapport der FINMA an das Parlament oder doch mindestens an die FinDel wäre auch denkbar.

II/4 Kompetenz des Bundesrates zur Beschränkung des Eigenhandels

Art. 10

4 Der Bundesrat regelt …

d.    die Massnahmen zur Beschränkung des Eigenhandels

Begründung

Die meisten Banken, die 2008 in grosse Schwierigkeiten gerieten, waren massiv im Eigenhandel engagiert, so etwa auch die UBS. Die USA wollen nach der sog. Volcker-Regel den Eigenhandel verbieten oder wenigstens beschränken. Auch die Schweiz sollte in dieser Frage eine Interventionsmöglichkeit haben. Systemrelevante Grossbanken, die im Krisenfall letztlich vom Steuerzahler gerettet werden müssten, haben sich in diesem volkswirtschaftlich nicht notwendigen Geschäft gebührend zurückzuhalten.

II/5  Emittierung der CoCos in der Schweiz

Art. 11

5 Anleihen nach diesem Kapitel können nur unter schweizerischem Recht und schweizerischem Gerichtsstand begründet werden.

Begründung

Der Bundesrat beschreibt in der Botschaft (S. 18), zu welchen Schwierigkeiten eine Emittierung von CoCos im Ausland führen könnten: „Werden diese CoCos nicht unter schweizerischem Recht ausgegeben, … können (Rechts-)Unsicherheiten entstehen, welche die Wirksamkeit des CoCos-Konzepts im Ernstfall in Frage stellen.“ Wenn man diese Aussage ernst nimmt, sollte man dem Problem wohl nicht nur mit Steueranreizen begegnen.

III  Alternativen

Mittelfristig ist auch das Trennbankensystem zu prüfen, vor allem wenn sich die organisatorischen Vorkehren für eine Weiterführung der systemrelevanten Funktionen im Krisenfall als schwierig erweisen sollten. Der Bundesrat müsste aufgefordert werden, eine Expertengruppe einzusetzen, die die Möglichkeiten und Auswirkungen eines Trennbankensystems jetzt schon prüft. Das Geschäft darf dadurch aber nicht verzögert werden.

Sollte eine Verabschiedung der Gesetzesänderung vor den Wahlen nicht mehr möglich sein, so müsste der Bundesrat ohne Verzug und auf der Grundlage des heutigen Art. 4 BankG wenigstens die Vorschriften bezüglich Eigenmittel der beiden Grossbanken den Vorschlägen der Expertenkommission anpassen. Dass er dazu berechtigt ist, geht aus den Materialien zur Revision hervor, die auf den 1. Januar 2005 in Kraft getreten ist. Art. 4 BankG erlaube „dem Verordnungsgeber, eine quantitativ und qualitativ differenzierte Regelung einzuführen (…) Er kann somit den verschiedenen Geschäftstätigkeiten sowie auch den Grössenverhältnissen und institutsspezifischen Methoden (…) besser Rechnung tragen“ (BBl 2002 6279). Und was die systemischen Risiken der Grossbanken betrifft, präzisierte der Bundesrat: „Vorschriften, welche von den international tätigen Grossinstituten die Einhaltung besonderer Erfordernisse verlangen würden, um den Systemrisiken vorzubeugen, sind (…) bei der gewählten weiten Formulierung nicht ausgeschlossen“ (BBl 2002 6282). Damit kam er dem Anliegen der Motion Strahm aus dem Jahre 1998 wenigstens etwas entgegen. Für die Botschaft war damals Bundesrat Villiger federführend …

* Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet:
kontrapunkt, der zurzeit 27-köpfige „Schweizer Rat für Wirtschafts- und Sozialpolitik“, entstand auf Initiative des „Netzwerks für sozial verantwortliche Wirtschaft“. Die Gruppe will die oft unbefriedigende und polarisierende öffentliche Diskussion über politische Themen durch wissenschaftlich fundierte, interdisziplinär erarbeitete Beiträge vertiefen. kontrapunkt möchte damit übersehene Aspekte offen legen und einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte leisten. Diesen Text haben folgende Mitglieder von kontrapunkt mitunterzeichnet: Gabriella Bardin Arigoni, Politologin, Gy; Dr. Peter Hablützel, Hablützel Consulting, Bern; Dr. iur. Gret Haller, Universität Frankfurt am Main; Prof. Dr. Hanspeter Kriesi, Politikwissenschafter, Universität Zürich; Prof. em. Dr. René Levy, Soziologe, Universität Lausanne; Prof. Dr. Philippe Mastronardi, Staatsrechtler, Universität St. Gallen; Prof. Dr. Hans-Balz Peter, Sozialethiker und Sozialökonom, Universität Bern; Dr. oec. HSG Gudrun Sander, Betriebswirtschafterin, Universität St. Gallen; ETH Zürich; Prof. em. Dr. Peter Ulrich, Wirtschaftsethiker, Universität St. Gallen; Prof. em. Dr. Mario von Cranach, Psychologe, Universität Bern; Prof. em. Dr. Karl Weber, Soziologe, Universität Bern; Prof. Dr. phil. Theo Wehner, ETH Zürich, Zentrum für Organisations- und Arbeitswissenschaften (ZOA), Zürich; Daniel Wiener, MAS-Kulturmanager, Basel; Liliana Winkelmann, M.A., Zürich.
Kontakt: kontrapunkt-Geschäftsstelle, c/o ecos, 4051 Basel, Daniel Wiener, Tel. 061 205 10 10; www.rat-kontrapunkt.ch

Comments are closed.